Alle meine Schuhe
du da rangekommen?«
Sie hörte ihn seufzen. »Wie lange habe ich gebraucht, um dein Passwort herauszufinden? Eine Minute? Vielleicht auch zwei? Ich fing an mit Manolo und arbeitete mich durch sämtliche bekannten Schuhdesigner, die du je erwähnt hattest, bis ich zu Gina kam. Bingo.«
»Clever.«
»Sergei also. Hätte mir eigentlich klar sein müssen nach diesem Abend, an dem er zum Essen bei uns war, dass ihr mehr seid als Freunde .« Dieses letzte Wort klang aus seinem Mund wie ein Fauchen.
»Ja, aber -«
»Und ich hatte gedacht, ich wäre dir vielleicht zu alt, dabei stehst du offenbar genau darauf.«
Amy brach in Tränen aus. »Justin, würdest du bitte aufhören? Ich habe keine Affäre!«
»Sicher, Abe, sicher!«, höhnte Justin. »Wie deine E-Mails an ihn deutlich erkennen lassen, nicht wahr?« Er imitierte ihre Stimme: »Ich kann es kaum erwarten, dass endlich Samstag ist … wir treffen uns am üblichen Ort … ich denke an dich … Verdammt noch mal!«
»Hör auf, Justin!«
»Ich möchte, dass du ausziehst, Amy!«
»Hör mir zu!«
»Nein!«
»Justin, bitte!«
»Verschwinde einfach aus meinem Leben, Amy. Du ziehst noch heute aus dem Apartment aus, verstanden? Ich möchte dich nie wiedersehen.«
»Justin, würdest du es mich bitte erklären lassen?«, schluchzte Amy.
»Diese E-Mails waren mir Erklärung genug. Wenn ich daran denke, dass ich mit euch beiden an einem Tisch gesessen habe! Sei ehrlich, Amy, es war alles gelogen! All dieser Mist von wegen: Ich würde dich nie betrügen, ich bin doch nicht Natasha ?«
»Nein«, weinte Amy.
»Das glaube ich nicht.«
»Das musst du aber, weil es die Wahrheit ist.«
»Ich muss jetzt los, mich um den Auftritt der Band kümmern. Ruf nie wieder an.«
»Justin, warte.«
»Lebwohl, Amy.«
Einen Moment dachte sie, er hätte aufgelegt, und wartete mit angehaltenem Atem auf das Freizeichen.
Aber dann sagte er noch etwas: »Ach, Amy, was deine Schuhe angeht …«
Daran hatte sie jetzt gar nicht mehr gedacht.
»Ja …?«
»Ich habe sie alle verkauft.«
Was? Die Verbindung mochte ja schlecht sein, aber das konnte sie nicht falsch verstanden haben.
»Ich habe das ganze Zeug über eBay verramscht, während du auf der Isle of Wight warst. Wenn du dort überhaupt warst. Vielleicht auf der Isle of Wight, vielleicht aber auch in Moskau, keine -«
»DU HAST MEINE SCHUHE VERKAUFT?« Amy hatte noch nie in ihrem Leben lauter geschrien.
»Ja«, antwortete er gelassen. »Dir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich in der letzten Woche ständig am Computer hing, nicht wahr?«
»Aber -«
»Du warst wahrscheinlich zu sehr damit beschäftigt, von Sergei zu träumen. Was für ein bescheuerter Name! Das Bieten lief über die ganze Woche. Es war sehr freundlich von dir, auf deiner Festplatte Fotos von jedem einzelnen Paar abzuspeichern. Hat mir die Arbeit extrem erleichtert.«
»Das ist nicht -«
»Und danke, dass du übers Wochenende weg warst, wo auch immer. So konnte ich sie in Ruhe verpacken und zur Post bringen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und dafür sorgen, dass noch heute die Türschlösser ausgetauscht werden.«
»Du weißt, wie viel mir diese Schuhe bedeutet haben«, stieß Amy mühsam und kaum hörbar hervor.
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Justin: »Tut ganz schön weh, nicht wahr?«
Amy war am Ende. Es gab nichts mehr zu sagen, sie spürte nicht einmal mehr Wut. Sie schloss die Augen und ließ die heißen Tränen über ihre Wangen laufen.
»Sie sind weg, Amy, in alle vier Himmelsrichtungen verstreut.«
»Nein«, flüsterte Amy.
»Lebwohl, Amy. Ich wünsch dir alles Gute.«
5. Kapitel
S chon wieder die Isle of Wight-Gummistiefel, Amy?« Jesminder zog fragend die Augenbrauen hoch, als ihr Blick später an diesem Tag unter Amys Schreibtisch fiel.
Amy stand vollkommen neben sich. Beinahe wäre sie gar nicht ins Büro gefahren – dass sie keine Schuhe zum Anziehen hatte, spielte dabei nur eine Nebenrolle. In einem Anflug von Trotz zog sie dann die Gummistiefel an, mit denen sie das ganze Wochenende lang auf dem matschigen Festivalgelände herumgelaufen war, und stapfte ins Büro. Allein in dem Apartment zu sein, war zu bedrückend.
Die Arbeit würde sie ablenken, dort konnte sie in virtuelle Welten reisen. Bei aclickaway.com ging es immer hektisch zu – und noch bevor sie sich versah, würde dieser entsetzliche Tag vorübergehen. Außerdem konnte sie mit Jesminder und Debbie reden. Hoffentlich wussten die beiden
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