Alle meine Wünsche (German Edition)
selbst. Zwei Schritte, und ich betrete eine andere Welt. Es ist kühl. Das Licht ist sanft. Die Verkäuferinnen sind schön, diskret; eine kommt zu mir, flüstert: Kann ich Ihnen helfen, Madame?
Ich schaue nur, ich schaue, murmele ich beeindruckt, sie aber schaut mich an.
Mein grauer Mantel, alt, aber so unglaublich bequem, meine flachen Schuhe – ich habe sie heute früh angezogen, weil meine Beine im Zug immer anschwellen –, meine unförmige, abgewetzte Tasche; sie lächelt: Fragen Sie nur, wann immer Sie wollen.
Sie entfernt sich, diskret, stilvoll.
Ich gehe zu einer hübschen zweifarbigen Jacke aus Leinentweed und Baumwolle, 2490 Euro. Die Zwillinge wären begeistert. Ich müsste zwei kaufen, 4980 Euro. Schöne Sandalen aus PVC, Absatz 90 mm, 1950 Euro. Facettierte Lammfellhandschuhe, 650 Euro. Eine ganz einfache Armbanduhr aus weißer Keramik, 3100 Euro. Eine entzückende Krokodilledertasche, Maman hätte sie geliebt, sich aber nie getraut; Preis auf Nachfrage.
Bei wie viel fängt ein Preis auf Nachfrage an?
Plötzlich läuft eine Schauspielerin, an deren Namen ich mich nie erinnere, durch das Geschäft. Sie hat eine große Tüte in jeder Hand. Sie geht so dicht an mir vorbei, dass ich den Duft ihres Parfums rieche, etwas Schweres, ein bisschen abstoßend, irgendwie sexuell. Der Türsteher verneigt sich, sie bemerkt es nicht. Draußen stürzt ihr Fahrer herbei, greift nach den beiden Tüten. Sie steigt in ein großes schwarzes Auto und verschwindet, wie hineingesaugt, hinter den schwarzen Scheiben.
Kino pur!
Auch ich, Jocelyne Guerbette, Kurzwarenhändlerin in Arras, könnte die Chanel-Boutique plündern, die Dienste eines Chauffeurs mieten und in einer Limousine herumfahren; aber wozu? Was ich im Gesicht der Schauspielerin an Einsamkeit gesehen habe, hat mich erschreckt. Deshalb verlasse ich diskret die Traumboutique, die Verkäuferin schenkt mir ein höflich bedauerndes Lächeln, der Türsteher hält mir die Tür auf, aber ich habe kein Anrecht auf eine Verbeugung – oder ich bemerke sie auch nicht.
Draußen ist es frisch. Der Lärm der Autohupen, die Drohungen der Ungeduld, die Mordlust der Autofahrer, die Kamikazekuriere in der Rue de Rivoli, nur ein paar Dutzend Meter entfernt, das alles beruhigt mich auf einmal. Kein dicker Teppichboden mehr, keine schmierigen Verbeugungen. Endlich ganz ordinäre Gewalt. Banaler Schmerz. Traurigkeit, die im Innern bleibt. Brutale, geradezu animalische chemische Gerüche, wie in Arras hinter dem Bahnhof. Mein richtiges Leben.
Ich gehe in Richtung Tuilerien und drücke meine hässliche Tasche an mich, meinen Tresor ; Jo hat gesagt, ich soll mit den Gaunern in Paris aufpassen. Es gibt Kinderbanden, die einen ausplündern, ohne dass man es merkt. Bettlerinnen mit Neugeborenen, die niemals weinen, sich kaum bewegen, mit Schlaftabletten betäubt werden. Ich denke an den Gaukler von Hieronymus Bosch, Maman liebte das Bild, sie liebte jedes Detail darauf, zum Beispiel die Muskatnüsse auf dem Tisch des Schwindlers.
Ich gehe die Allée de Diane bis zur nördlichen Exedra, dort setze ich mich auf eine kleine Steinbank. Vor meinen Füßen ist ein Sonnenfleck. Plötzlich habe ich Lust, Däumelinchen zu sein. In diese Goldpfütze einzutauchen. Mich darin aufzuwärmen. Darin zu verbrennen.
Obwohl die Luftpartikel von Autos und grässlichen Scootern umzingelt, zwischen der Rue de Rivoli und dem Quai Voltaire eingequetscht sind, kommen sie mir hier seltsamerweise reiner, sauberer vor. Ich weiß schon, dass das nicht möglich, dass es die Frucht meiner Phantasie, meiner Angst ist. Ich hole das Sandwich aus der Tasche, Jo hat es mir heute Morgen geschmiert, als es draußen noch dunkel war. Zwei Scheiben Brot, Thunfisch und ein hartes Ei. Ich habe gesagt: Lass doch, ich kaufe mir etwas am Bahnhof, aber er hat darauf bestanden: Das sind Halsabschneider, vor allem in den Bahnhöfen, sie verkaufen dir ein Sandwich für acht Euro, und es ist nicht so gut wie meins, wahrscheinlich ist es auch nicht frisch.
Mein Jo. Mein Fürsorglicher. Dein Sandwich ist lecker.
Ein paar Meter entfernt steht eine Statue von Apoll, der Daphne verfolgt, und eine von Daphne, die von Apoll verfolgt wird. Weiter weg eine Aphrodite Kallipygos, kallipygos , ein Adjektiv, dessen Bedeutung ich im Zeichenunterricht gelernt habe: mit schönem Hintern. Also großem, dickem. Wie meiner. Und da sitze ich, irgendjemand aus Arras, auf meinem schönen Hintern in den Tuilerien und esse ein Sandwich, wie eine
Weitere Kostenlose Bücher