Alle meine Wünsche (German Edition)
Studentin, obwohl ich ein Vermögen in meiner Tasche habe.
Ein beängstigendes Vermögen, weil mir plötzlich bewusst wird, dass Jo recht hat.
Selbst für acht, zwölf oder fünfzehn Euro wäre kein Sandwich so gut wie seins.
Später, ich habe noch Zeit, ehe mein Zug fährt, gehe ich im Marché Saint-Pierre in der Rue Charles Nodier stöbern. Das ist meine Schatzhöhle.
Meine Hände streichen über Stoffe, meine Finger zittern bei der Berührung von Organdy, feinem Wollfilz, Jute, Patchworks. Hier spüre ich den Rausch, den die Frau in dem wunderbaren Werbefilm verspürt haben muss, die eine ganze Nacht bei Sephora eingeschlossen war. Alles Gold der Welt würde diesen Taumel nicht aufwiegen. Hier sind alle Frauen schön. Ihre Augen glänzen. Beim Anblick eines Stück Stoffs stellen sie sich schon ein Kleid, ein Kissen, eine Puppe vor. Sie fabrizieren Träume, sie halten die Schönheit der Welt in ihren Händen. Bevor ich gehe, kaufe ich Bembergseide, ein paar Polypropylenriemen, Baumwollzackenlitze und Perlentroddeln.
Das Glück kostet nicht mal vierzig Euro.
Während der fünfzigminütigen Fahrt döse ich in der gedämpften Atmosphäre des TGV. Ich frage mich, ob es Romain und Nadine an nichts fehlt, jetzt, wo ich ihnen alles schenken kann. Romain könnte seine eigene Crêperie aufmachen. Nadine alle Filme drehen, die sie will, und nicht vom Erfolg abhängig sein, um ein anständiges Leben zu führen. Aber wiegt das die Zeit auf, die wir nicht miteinander verbracht haben? Die Ferien ohne einander, die Sehnsucht, die Stunden voller Einsamkeit und Kälte? Die Ängste?
Verringert das Geld die Entfernungen, bringt es die Menschen einander näher?
Und du, mein Jo, wenn du das alles wüsstest, was würdest du tun? Sag mir, was du tun würdest!
J o erwartete mich am Bahnhof.
Als er mich sah, lief er schneller, allerdings ohne zu rennen. Er nahm mich in die Arme, auf dem Bahnsteig. Dieser unerwartete Überschwang überraschte mich. Ich lachte, beinahe verlegen: Jo, Jo, was ist los?
Jo, flüsterte er mir ins Ohr, ich bin froh, dass du zurückgekommen bist.
Na bitte.
Je größer die Lügen sind, desto weniger sieht man sie kommen.
Er löste seine Umarmung, seine Hand glitt bis zu meiner herab, und wir liefen nach Hause. Ich erzählte ihm von meinem Tag. Ich erfand rasch ein Treffen mit Filagil Sabarent, einem Großhändler im 3. Arrondissement. Ich zeigte ihm die Schätze, die ich im Marché Saint-Pierre gekauft hatte.
Und mein Sandwich, war mein Sandwich gut?, fragte er.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste seinen Hals: Das beste der Welt. Wie du.
F rançoise kam in den Laden gestürzt.
Na bitte!, rief sie, sie hat ihren Scheck abgeholt! Es ist eine Frau. Da steht’s, in La Voix du Nord , jemand aus Arras, der anonym bleiben will. Da, lies selbst! Stell dir vor, sie hat bis zur letzten Minute gewartet! Ich wäre sofort hingegangen, ich hätte viel zu viel Angst gehabt, dass sie es mir nicht auszahlen. Achtzehn Millionen, stell dir vor, Jo, na gut, es sind nicht die hundert Millionen von Venelles, aber da haben sie zu fünfzehnt gespielt, also hat jeder sechs Millionen bekommen, und hier sind es achtzehn Millionen für sie allein, achtzehn Millionen, mehr als hundert Jahre Mindestlohn, Jo, tausend Jahre, Scheiße noch mal!
Dann kam Danièle. Sie war ganz rot. Sie brachte drei Kaffee mit. Oh, là là, seufzte sie, das ist vielleicht eine Geschichte. Ich war am Kiosk, niemand weiß, wer es ist. Nicht mal dieser Schnüffler von Shamponneur bei Jean-Jac.
Françoise unterbrach sie: Wir werden bald einen Maserati oder einen Cayenne auftauchen sehen, dann wissen wir, wer es ist.
Das ist doch kein Frauenauto, eher ein Mini oder ein Fiat 500.
Ich mische mich ein, die Spielverderberin: Vielleicht kauft sie sich kein Auto, vielleicht ändert sie nichts an ihrem Leben.
Die Zwillinge lachten mich aus: Du würdest wohl nichts ändern? Du würdest hier in deinem kleinen Laden bleiben und Stoff verkaufen, um arme Frauen zu beschäftigen, die sich langweilen und nicht mal den Mut haben, sich einen Liebhaber zu nehmen? O nein! Du würdest das Gleiche wie wir machen, du würdest dein Leben ändern, du würdest dir ein schönes Haus am Meer kaufen, vielleicht in Griechenland, du würdest dir eine schöne Reise, ein schönes Auto leisten, du würdest deine Kinder verwöhnen, und deine Freundinnen, ergänzte Françoise; du würdest dir eine neue Garderobe zulegen, du würdest zum Einkaufen nach Paris fahren,
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