Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
verlegen: «Ja.»
    «Ich bewundere Ihren Glauben.»
    «Der Glaube genügt aber nicht. Wir brauchen Mitarbeiter und Geld. Viel Geld.»
    Ich mußte lachen. «Sie sind gekommen, mich um Geld zu bitten?»
    «Ja. Wir haben eine Subskriptionsliste aufgelegt: ichhoffe, Ihre Unterschrift wird die erste sein. Und noch glücklicher würden wir uns schätzen, wenn Sie einen Lehrstuhl für Chemie übernähmen.»
    Sie schwieg.
    Dann sagte ich: «Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, sich an mich zu wenden?»
    «Sie sind sehr reich», sagte sie. «Und Sie sind ein großer Gelehrter: Alle Welt spricht von Ihren Arbeiten über die Kohle.»
    «Aber Sie kennen mich doch», sagte ich. «Sie haben mir oft meine Menschenverachtung vorgeworfen. Wie konnten Sie vermuten, daß ich bereit sein würde, Ihnen zu helfen?»
    Ihr Gesicht belebte sich, ihre Augen blitzten auf: «Das ist es ja gerade: ich kenne Sie eben nicht», sagte sie. «Sie können ablehnen, aber vielleicht nehmen Sie auch an: ich versuche mein Glück.»
    «Und warum sollte ich annehmen?» sagte ich. «Um das Unrecht wiedergutzumachen, das ich Ihnen zugefügt habe?»
    Sie wurde etwas förmlicher: «Ich habe Ihnen schon gesagt, daß es kein Unrecht war.»
    «Um des Vergnügens willen, Ihnen ein Vergnügen zu machen?»
    «Aus Interesse an der Wissenschaft und an der Menschheit», sagte sie.
    «Ich interessiere mich für die Wissenschaft nur, insoweit sie unmenschlich ist.»
    «Ich frage mich, woher Sie den Mut nehmen, die Menschen zu verachten», sagte sie in einem Anfall von Zorn. «Sie sind reich, gelehrt, frei, Sie tun, was Ihnen gefällt; die meisten sind unglücklich, unwissend, zu freudloser Arbeit gezwungen; und niemals haben Sie einen Versuch gemacht, den anderen zu helfen: diese anderen Menschen sollten Sie verachten.»
    Es lag so viel Leidenschaftlichkeit in ihrer Stimme, daß ich Lust bekam, mich zu verteidigen; aber wie sollte ich ihr denn die Wahrheit sagen? So bemerkte ich nur: «Ich glaube, im Grunde beneide ich sie.»
    «Sie?»
    «Sie leben; und seit Jahren ist es mir nicht mehr gelungen, mich lebendig zu fühlen.»
    «Oh!» rief sie in ergriffenem Ton aus. «Ich wußte ja, daß Sie unglücklich sind.»
    Jäh erhob ich mich: «Gehen Sie mit mir ein Stück durch den Park, Sie finden ihn ja so hübsch.»
    «Aber gern.»
    Sie nahm meinen Arm, und wir gingen am Fluß entlang, in welchem Goldfische schwammen.
    «Selbst an einem so schönen Tag fühlen Sie sich nicht lebendig?»
    «Nein.»
    Mit der Fingerspitze berührte sie eine von Bompards Rosen: «Gefällt Ihnen denn von alldem nichts?»
    Ich pflückte die Rose und reichte sie ihr: «An Ihnen gefällt sie mir bestimmt.»
    Sie lächelte, nahm die Blume und atmete tief ihren Duft.
    «Sie spricht zu Ihnen, nicht wahr?» sagte ich. «Und was sagt sie denn?»
    «Daß das Leben schön ist», rief sie fröhlich aus.
    «Mir sagt sie nichts», sagte ich. «Offenbar haben die Dinge für mich keine Stimme.»
    Mit leidenschaftlicher Erwartung sah ich die safrangelbe Rose an; aber zu viele Rosen, zu viele Frühlinge hatte das Leben mir schon gebracht.
    «Sie wissen nicht zuzuhören.»
    Wir machten schweigend ein paar Schritte; sie schaute die Bäume, die Blumen an; sobald sie den Blick von mir wendete, hatte ich das Gefühl, daß mich das Leben verließ.
    «Es würde mich interessieren», sagte ich, «was Sie von mir denken.»
    «Ich habe recht schlecht von Ihnen gedacht.»
    «Und warum haben Sie Ihre Meinung geändert?»
    «Ihr Verhalten Richet gegenüber hat mir die Augen geöffnet.»
    Ich zuckte die Achseln: «Eine Laune!»
    «Ich hätte Ihnen aber diese Art von Launen vorher nicht zugetraut.»
    Ich kam mir vor, als täuschte ich sie; ich schämte mich deswegen; aber es war mir unmöglich, ihr eine Erklärung zu geben.
    «Wenn Sie mich für eine gute Seele halten», sagte ich, «so irren Sie sich sehr.»
    Sie lachte: «Ich bin nicht dumm.»
    «Und doch hoffen Sie, mich für das Glück der Menschheit zu interessieren.»
    Sie stieß mit der Fußspitze ein Steinchen auf dem Weg vor sich her und antwortete mir nicht.
    «Schauen Sie», sagte ich. «Glauben Sie nun, ich werde Ihnen das Geld geben oder nicht? Wie wetten Sie? Ja oder nein?»
    Sie sah mich mit ernster Miene an: «Ich weiß es nicht», sagte sie. «Sie sind frei.»
    Zum zweitenmal fühlte ich mich am Herzen angerührt. Wirklich, ich war frei; alle Jahrhunderte, die ich durchlebt hatte, erstarben am Rande dieses Augenblicks, der unter einem Himmel aufbrach, der so

Weitere Kostenlose Bücher