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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sie die Zukunft ergründen. «Meinst du, sie wird hübsch?»
    «O ja, sicherlich.»
    Sicherlich würde sie eines Tages hübsch und jugendfrischsein; dann aber würde sie altern, häßlich und zahnlos werden, und eines Tages würde ich hören, daß sie gestorben sei.
    «Welches von beiden hast du lieber?» wollte Marianne wissen.
    «Das kann ich dir nicht sagen. Ich habe sie alle beide lieb.»
    Ich lächelte ihr zu, und unsere Hände vereinigten sich. Es war ein schöner Tag. Die Vögel in der Volière sangen, und die Wespen summten in den Glyzinien am Haus; ich hielt eine Weile Mariannes Hand in der meinigen; aber ich log sie an. Ich liebte sie, doch ihre Freuden, ihre Mühen und ihre Befürchtungen teilte ich nicht mit ihr, ich liebte nicht, was sie liebte. An meiner Seite war sie allein, und sie wußte es nicht.
    «Hör mal dort!» sagte sie. «Wer kann denn heute kommen?»
    Schellen läuteten von der Straße her; ein Wagen fuhr durch das Parktor ein, und ein Mann stieg heraus; es war ein alter, dicker, gut gekleideter Mann, der nur mit Mühe zu gehen schien; auf uns zukommend, lachte er über sein ganzes volles Gesicht: es war Bompard.
    «Was machst du denn hier?» fragte ich in einem Ton der Verwunderung, der nur schlecht meinen Ärger verbarg.
    «Ich bin vor einer Woche aus Rußland zurückgekehrt», sagte er. Er lächelte. «Bitte, stellen Sie mich doch der Dame vor.»
    «Das ist Bompard, den du früher öfter bei Madame de Montesson gesehen hast», sagte ich zu Marianne.
    «Ich erinnere mich», sagte sie. Sie betrachtete ihn mit sichtlicher Neugier; er setzte sich, und sie fragte: «Sie kommen von Rußland zurück: ist es ein schönes Land?»
    «Es ist kalt», sagte er; man spürte seinen Groll.
    Sie sprachen von St.   Petersburg, aber ich hörte nicht zu. Das Blut war mir vom Herzen in die Kehle gestiegen und von dort in den Kopf: ich fühlte mich zum Ersticken; ichkannte dies Schwarzwerden vor den Augen: es war einfach Angst.
    «Was hast du?» fragte Marianne.
    «Ich glaube, die Sonne», sagte ich, «hat mir zu stark auf den Kopf geschienen.»
    Unruhig und verwundert blickte sie mich an. «Willst du dich lieber hinlegen?» fragte sie.
    «Nein, es geht rasch vorbei.» Ich stand auf. «Komm», sagte ich zu Bompard, «ich zeige dir den Park. Entschuldige uns einen Augenblick, Marianne.»
    Sie neigte zustimmend den Kopf. Aber sie sah uns verwundert nach: ich hatte bislang vor ihr kein Geheimnis gehabt.
    «Ihre Frau ist reizend», sagte Bompard. «Ich würde mich glücklich schätzen, sie näher kennenzulernen und ihr von Ihnen zu sprechen.»
    «Nimm dich in acht», sagte ich. «Ich weiß mich bekanntlich zu rächen, erinnerst du dich noch?»
    «Mir scheint, Sie hätten heute viel zu verlieren, wenn Sie sich zu ungeeigneten Maßnahmen der Gewalt hinreißen ließen», meinte er.
    «Du willst Geld», sagte ich. «Wieviel?»
    «Sie sind wirklich sehr glücklich, nicht wahr?» antwortete Bompard.
    «Kümmere dich nicht um mein Glück. Wieviel willst du haben?»
    «Das Glück», sagte Bompard, «ist nie zu teuer bezahlt. Ich möchte 50   000   Francs im Jahr.»
    «Dreißig», sagte ich.
    «Fünfzig. Mein letztes Wort.»
    Mein Herz schlug heftig in meiner Brust; diesmal spielte ich nicht mit dem Wunsch zu verlieren, sondern ich mußte gewinnen, und ich spielte nicht falsch; meine Liebe war wahr, und eine wirkliche Drohung lastete auf mir. Bomparddurfte nicht ahnen, wie weit seine Macht sich erstreckte, sonst würde er mich in kürzester Zeit durch seine Forderungen zugrunde gerichtet haben. Ich wollte nicht, daß Marianne etwa in Armut geriete.
    «Gut, dann bleibe dabei», sagte ich. «Geh zu Marianne, sprich mit ihr. Sie wird mir meine Lüge sehr schnell verziehen haben, und du gewinnst nichts dabei.»
    Er zögerte: «Vierzigtausend.»
    «Dreißigtausend. Mein letztes Wort.»
    «Ich nehme an», sagte er.
    «Morgen bekommst du das Geld», sagte ich. «Und jetzt entferne dich.»
    «Ich gehe schon.»
    Ich sah, wie er davonfuhr, und wischte mir die feuchtgewordenen Hände ab. Ich hatte ein Gefühl, als hätte ich um mein Leben gespielt.
    «Was wollte er denn von dir?» fragte mich Marianne.
    «Er wollte Geld.»
    «Warum hast du ihn so unfreundlich empfangen?»
    «Er erinnert mich an lauter unangenehme Dinge.»
    «Warst du deswegen so erregt, als du ihn kommen sahst?»
    «Ja.»
    Argwöhnisch betrachtete sie mich. «Sonderbar», sagte sie. «Es sah aus, als hättest du Angst.»
    «Unsinn», sagte ich. «Weshalb soll ich

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