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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Zweck.»
    Ich betrachtete ohne Wohlwollen den hochgewachsenen Mönch mit dem wettergebräunten Gesicht, der aufrecht vor mir stand, die Hände in den Ärmeln. Dieser Mensch erlaubt sich ein Urteil über mich, dachte ich.
    «Woher kommt ihr?»
    «Aus Florenz», sagte der kleine Mönch. «Wir sind zwanzig Tage gereist.»
    «Habt ihr sagen hören, daß die Pest bis nach Toscana gekommen sei?»
    «Großer Gott! Nein!» rief der Kleine.
    Ich drehte mich nach Luigia um. «Du siehst!»
    «Ist es wahr, mein Vater, daß in Florenz mehr als viertausend Menschen durch die Hungersnot umgekommen sind?» fragte Caterina.
    Der kleine Mönch nickte mit dem Kopf. «Mehr als viertausend», sagte er. «Wir haben Brot gegessen, das aus gefrorenem Gras bereitet war.»
    «Wir haben das vordem auch kennengelernt», sagte ich. «Wart ihr schon in Carmona?»
    «Einmal. Vor fast zehn Jahren.»
    «Ist es nicht eine schöne Stadt?»
    «Es ist eine Stadt, der not tut, Gottes Wort zu hören», sagte mit Nachdruck der große Mönch.
    Alle Blicke wendeten sich ihm zu.
    Ich runzelte die Brauen. «Wir haben hier Priester, die uns jeden Sonntag vorzügliche Predigten halten», gab ich kühl zurück. «Zudem sind die Carmoneser fromm und leben streng und sittenrein; es gibt weder Ketzer noch Prasser unter ihnen.»
    «Aber der Hochmut zerfrißt ihr Herz», sagte der Mönch in eiferndem Ton. «Sie lassen sich ihr ewiges Heil nicht angelegen sein; du teilst ihnen nur die Güter der Erde aus, und diese Güter sind eitel. Du hast sie errettet vor der Hungersnot, aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Du glaubstgroße Dinge vollbracht zu haben, doch was du getan hast, ist nichts.»
    «Ist nichts?» fragte ich. Ich fing zu lachen an. «Vor dreißig Jahren gab es in Carmona zwanzigtausend Menschen. Jetzt sind es fünfzigtausend.»
    «Und wieviel werden mit geretteter Seele sterben?» fragte der Mönch zurück.
    «Wir sind in Frieden mit Gott», rief ich zornig aus. «Wir haben keinen Bedarf an Reden und Prozessionen. Man soll diese Mönche wieder vor unsere Tore führen», sagte ich zu Ruggiero, «und die Büßer verjagen aus unserer Ebene.»
    Die Mönche gingen schweigend hinaus: Luigia und Caterina schwiegen ebenfalls. Ich war nicht sicher zu jener Zeit, daß der Himmel leer sei, aber ich machte mir um den Himmel weiter keine Sorgen; und die Erde gehörte nicht Gott. Die Erde war meine Domäne.
    «Großvater, komm, laß uns die Affen ansehen», sagte Sigismund und zog mich am Ärmel fort.
    «Ich auch, ich will auch die Affen sehen», rief eines der kleinen Mädchen.
    «Nein», sagte Luigia. «Ich lasse euch nicht gehen. Wenn ihr ausgeht, bekommt ihr die Pest, ihr werdet schwarz und müßt sterben.»
    «Erzähle ihnen doch nicht solche Ammenmärchen», sagte ich ungeduldig. Ich legte meine Hand auf Caterinas Schulter: «Komm mit uns hinunter auf den Markt   …»
    «Wenn ich hinuntersteige, muß ich wieder herauf.»
    «Das schon!»
    «Du vergißt, ich bin eine alte Frau.»
    «Aber nein», sagte ich, «du bist nicht alt.»
    Sie hatte noch immer das gleiche Gesicht: dieselben schüchternen Augen und das Lächeln von einst; nur machte sie schon lange einen müden Eindruck; ihre Wangen waren füllig und gelb, um ihren Mund lagen Falten.
    «Wir werden langsam gehen», sagte ich. «Komm.»
    Wir gingen die alte Färbergasse hinab. Die Kinder liefen vor uns her. Zu beiden Seiten der Gasse tauchten Arbeiter ihre Wollsträhnen in Bottiche mit blauer und blutroter Farbe; violettes Wasser lief aus.
    «Ach!» rief ich ungeduldig aus. «Wann werde ich diese alten Baracken einmal abreißen können?»
    «Was soll aus den Leuten werden?»
    «Ja, ich weiß», sagte ich. «Sie müßten alle erst sterben.»
    Die Gasse mündete auf den Platz, auf dem der Jahrmarkt war. Es duftete überall nach Gewürznelken und nach Honig. Über das Marktgeschrei hin schwang sich der Lärm der Trommeln, der kupferne Klang der Fanfaren. Die Menge drängte sich um die Auslagetische, auf denen Tuche, Leinenrollen, Früchte, Gewürze und Kuchen feilgeboten wurden. Die Frauen liebkosten mit der Hand die schweren Stoffe, die feinen Spitzen; die Kinder bissen in Waffeln, Wein floß aus schweren Krügen, die auf den Schanktischen standen. Die Leute hatten warm im Magen und wurden nun auch im Herzen warm. Als ich den Platz überquerte, erhob sich ein großes Jubelgeschrei: «Es lebe der Graf Fosca!» und «Gräfin Caterina, sie lebe hoch!» Ein Rosenstrauß fiel vor meine Füße, ein Mann hakte

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