Alle Menschen sind sterblich
vermöchte. Die Flammen waren herabgebrannt; auf der Mitte des Platzes war nichts mehr übriggeblieben als eine formlose Masse von verkohlten Resten. Ich hätte am liebsten diese Asche befragt, die der Wind verwehte.
Indessen hatte Karl über Soliman triumphiert; er hatte den Krieg gegen die Ungläubigen nach Afrika getragen, aus Tunis den Piraten Barbarossa verjagt und Mulay Hassan auf den Thron gesetzt, der die Oberhoheit Spaniens anerkannte. Zum Osterfest zog er nach Rom. In der Peterskirche setzte er sich auf einen Thron an der Seite des Papstes; zusammen verrichteten sie ihre Andacht, und zusammen verließen sie die Basilika: zum erstenmal seit Jahrhunderten behauptete sich das Reich als eine Macht, die dem Papsttum ebenbürtig war. Aber in dem Augenblick, als dieser Triumph das Antlitzder Welt erhellte, erfuhren wir, daß Franz I. plötzlich für seinen zweiten Sohn die Nachfolge des Herzogs von Mailand verlangte und ein Heer nach Turin entsandte.
«Nein», sagte Karl. «Ich will keinen Krieg mehr haben. Immer Kriege und Kriege. Wir gehen daran zugrunde; und was nützen sie?»
Er, der sonst immer Herr seiner Leidenschaften war, lief jetzt auf und ab und zupfte an seinem Bart.
«Ich werde folgendes tun», sagte er. «Ich werde persönlich mit Franz in die Schranken treten und Burgund gegen Mailand setzen; und der Unterlegene muß dem Sieger Nachfolge leisten in einem Krieg gegen die Ungläubigen.»
«Aber Franz», sagte ich, «wird die Herausforderung nicht annehmen.»
Ich wußte jetzt, daß wir niemals ein Ende finden, niemals die Hände frei haben würden. Von den Franzosen befreit, würden wir gegen die Türken ziehen, und nach dem Sieg über die Türken uns wiederum gegen Frankreich zu wenden haben; sobald ein Aufstand in Spanien niedergeworfen war, brach ein anderer in Deutschland aus; sobald wir die Macht der Lutherischen gedämpft hatten, mußten wir gegen die Anmaßung der katholischen Fürsten kämpfen. Wir verzehrten uns in vergeblichen Fehden, deren Einsatz wir selbst nicht mehr kannten. Die Einheit Deutschlands, die Herrschaft über die Neue Welt: wir hatten keine Muße mehr, an große Ziele zu denken. Karl mußte nach der Provence ziehen, und wir marschierten auf Marseille, ohne es jedoch in unseren Besitz zu bringen. Wir gingen auf Genua zurück und schifften uns nach Spanien ein. Im Frieden von Nizza gaben wir Savoyen und zwei Drittel von Piemont preis.
Karl verbrachte den Winter in Spanien bei der Königin Isabella, deren Gesundheit zu schweren Besorgnissen Anlaß gab. Am 1. Mai wurde sie nach einer Frühgeburt von einem heftigen Fieber ergriffen, das sie nach wenigen Stunden hinwegraffte.Der Kaiser schloß sich wochenlang in ein Kloster nahe bei Toledo ein; als er nach dieser Retraite wieder zum Vorschein kam, war er um Jahre gealtert; sein Rücken war gebeugt, seine Hautfarbe bleiern und sein Auge trübe.
«Ich glaubte, Sie würden dies Kloster gar nicht mehr verlassen», sagte ich.
«Ich wäre gern geblieben.»
Unbeweglich in seinem Sessel sitzend, starrte Karl durch das Fenster auf den stahlblauen Himmel hinaus.
«Sind Sie nicht», sagte ich, «Herr über Ihre Entschlüsse?»
Er sah mich lange an: «Sie selbst haben mir gesagt: ‹Ihre Gesundheit, Ihr Glück fallen nicht ins Gewicht.›»
«Ach», sagte ich, «und an diese Worte erinnern Sie sich noch?»
«Es ist gerade der Augenblick, sich daran zu erinnern.»
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn; die Bewegung war neu an ihm, es war die Gewohnheitsgeste eines alten Mannes.
«Ich muß Philipp ein intaktes Reich hinterlassen», setzte er noch hinzu.
Ich neigte den Kopf, ohne etwas zu sagen, und das gewaltige Schweigen des kastilischen Sommers schloß sich wieder um uns. Wie hatte ich die Kühnheit besitzen können, ihm Pflichten zu diktieren? Wie hatte ich wagen können, mir eines Tages in Granada beim Rauschen der Brunnen zu sagen: Ich habe diesem Mann Leben und Glück geschenkt? Heute jedenfalls mußte ich mir sagen: Ich bin an diesen erloschenen Augen schuld, an diesem schmerzlichen Mund und diesem fröstelnden Herzen; sein Unglück ist mein Werk. In meiner Seele war es kalt; ich spürte diese Kälte um so mehr, als ich die Hand eines Toten berührt zu haben glaubte.
Ein paar Wochen lang verharrten wir in einer Art von Erstarrung; wir wurden herausgerissen durch den Hilferuf von Maria, Karls Schwester, die als Regentin für ihn in denNiederlanden saß. In Gent waren Unruhen ausgebrochen. Schon lange war das
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