Alle Menschen sind sterblich
waren die Antillen keine Märchenwelt mehr für mich: ich sah die smaragdenen Inseln, die Azurgipfel vor mir. Jenseits der Küstenstriche mit ihrem goldenen Sand prügelten wirkliche Menschen andere wirkliche Menschen mit veritablen Peitschen.
Wir legten in Port Antonio an und setzten dann unsere Reise fort. Von Tag zu Tag wurde die Hitze immer erstickender; das Wasser lag fast unbeweglich da, kein Fältchen war auf dem Meer zu sehen. Auf dem Vorderschiff ausgestreckt wurden die Auswanderer von Fieberfrösten geschüttelt, während ihnen der Schweiß in Strömen über das Antlitz rann.
Am Morgen tauchte Puerto Belo vor uns auf. Der Hafen lag tief in einer Bucht versteckt zwischen zwei grünen Vorgebirgen;die Vegetation, die sie bedeckte, war so fabelhaft üppig, daß man keinen Fingerbreit Erde sah; es schien, als ob aus dem Meer zwei gewaltige Pflanzen aufragten, die ihre Wurzeln in das Wasser senkten und von denen jede 400 Fuß hoch wäre. In den Straßen der Stadt stand eine zitternd glühende Luft; man sagte mir, das Klima sei so ungesund, daß die Auswanderer, denen es nicht auf der Stelle gelingen würde, sich Maulesel für die Überquerung der Landenge zu verschaffen, noch in der gleichen Woche am Fieber sterben würden. Ich erlangte von dem Gouverneur, daß er mir und meinen Gefährten Reittiere besorgte; wir ließen nur diejenigen zurück, welche die Krankheit ohnehin schon tödlich getroffen hatte.
Viele Tage lang rückten wir auf dem Saumpfad vor, der sich in Serpentinen durch den riesigen Wald hinzog; über unseren Köpfen bildeten die Bäume einen dichten Tunnel, so daß wir den Himmel nicht sahen: ungeheure Wurzeln hoben die Steine aus der Straße heraus; wir mußten oft stehenbleiben, um die Lianen abzuschneiden, die seit dem letzten Durchzug emporgewuchert waren und uns den Weg versperrten; die Dunkelheit um uns her war erstickend und feucht. Vier Mann starben unterwegs, drei andere blieben am Wege liegen; sie waren nicht imstande, die Reise fortzusetzen. Pater Mendonez sagte mir, auch dies Land hier sei verlassen: innerhalb von drei Monaten seien 7000 Indianerkinder auf der Landenge Hungers gestorben.
Panama beherrschte damals den gesamten Handel von Peru und Chile; es war eine große, glänzende Stadt; auf der Straße traf man in Seide gekleidete Kaufherren, mit Juwelen bedeckte Frauen und Maultierkarawanen mit fabelhaften Schabracken. Die geräumigen Häuser waren mit unerhörter Pracht ausgestattet; aber die Luft war so ungesund, daß jährlich Tausende der Bewohner inmitten ihrer vergänglichen Schätze starben.
Wir schifften uns auf einer Karavelle ein, die uns längs der Küste nach Peru bringen sollte. Diejenigen Auswanderer, die die Strapazen der Überfahrt überstanden hatten, setzten ihre Reise nach Potosi fort. Ich selber fuhr mit Pater Mendonez bis nach Callao hinab, das nur drei Meilen von der Stadt des Königs entfernt war, und von da aus erreichten wir ohne Mühe die Hauptstadt.
Die Stadt war wie ein Schachbrett angelegt, mit breiten Straßen und großen Plätzen; sie war so ausgedehnt, daß die Bewohner sie voller Stolz «die Stadt der gewaltigen Entfernungen» nannten; ihre Häuser aus Luftziegeln waren wie die Andalusiens rings um einen Patio gebaut; die Außenmauern waren kahl und hatten keine Fenster; Brunnen erfrischten mit ihren Wasserstrahlen die Plätze zwischen den Häusern, die Luft war lau und leicht. Doch die Spanier vertrugen das Klima schlecht, und ich fand auf den Straßen die gleichen Elendsscharen wie in Santiago de Cuba. Auch hier vermochten Gold und Silber den Menschen nicht zu helfen. Man war gerade dabei, einen Dom zu errichten, dessen Säulen aus reinem Silber und dessen Mauern aus kostbarem Marmor waren. Für wen erbaute man ihn? Nächst dem Dom war das schönste Gebäude der Stadt ein Gefängnis mit kahlen Mauern; durch das Fenster seiner mit Goldstoff verhängten Karosse wies der Vizekönig voller Stolz darauf hin.
«Hier sind alle Rebellen des Königreiches eingesperrt», sagte er.
«Was nennen Sie Rebellen?» fragte ich. «Diejenigen, die sich offen gegen die Macht auflehnen, oder diejenigen, die sich weigern, den neuen Gesetzen zu gehorchen?»
«Niemand gehorcht den neuen Gesetzen», sagte er achselzuckend. «Man müßte Peru wiederum seinen Eroberern entreißen, wenn man wollte, daß die königliche Autorität mehr wäre als ein Fetzen Papier.»
Die Verordnungen Karls V. verlangten, daß man den Indianernwieder die Freiheit gäbe, daß
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