Alle muessen sterben
noch nicht registriert hatte. Aber Elena Kafka hatte recht, sie hatten tatsächlich etwas Surreales, besonders ein Bühnenbild, das nur aus einem wolkenverhangenen Himmel bestand, aus dem einzelne goldene Sonnenstrahlen auf einen schwarzen Boden hinunterleuchteten und glitzernde Pfützen entstehen ließen. Zum ersten Mal registrierte er dieses Bild und es erinnerte ihn an seine Arbeit in der Mordkommission. Seine Aufgabe bestand doch darin, den schwarzen Sumpf des Bösen auszuleuchten und in einer düsteren, eisigen Welt voller Verbrechen ein helles, warmes Licht erstrahlen zu lassen, um den menschlichen Abgründen ihren Schrecken zu nehmen.
„Braun, Sie haben mir Ihr Wort gegeben, dass Sie diesen Fall lösen. Gehen Sie auch der unbedeutendsten Spur nach!“
Als Braun antworten wollte, hob sie ihre Hand.
„Finden Sie den Mörder von Tim Kreuzer!“ Sie nestelte wieder einen Nikotinkaugummi aus ihrer Jackentasche. Ihr Handy summte und nach einem schnellen Blick auf das Display drehte sie sich zum Ausgang um, blieb aber noch kurz stehen. „Ich habe leider auch später schon wieder einen Termin. Sie informieren bitte nur mich! Niemanden sonst, haben wir uns verstanden, Braun!“ Dann ging sie mit schnellen Schritten hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen oder zu verabschieden.
„Natürlich, Polizeipräsidentin!“, rief ihr Braun hinterher, sah durch die schmutzigen Glasscheiben der Foyertüren, wie Elena Kafka sich draußen im Freien sofort eine Zigarette anzündete und langsam im Regen über den Parkplatz schlenderte. Sie ging an seinem Range Rover vorbei, blieb kurz davor stehen, betrachtete das halb fertige Graffiti auf der Wagentür, zog noch einmal hastig an ihrer Zigarette, ehe sie die halb abgerauchte Kippe wegschnippte, und stieg dann in einen älteren bronzefarbenen Porsche mit Heckspoiler und amerikanischen Stoßstangen. Braun erinnerte sich daran, den Porsche auf dem Parkplatz bei Elena Kafkas Büro schon einmal gesehen zu haben. Er nickte anerkennend, als sie mit aufheulendem Motor aus der Parklücke schoss, und spürte plötzlich eine leichte Nervosität in seinem Bauch.
Er ignorierte das Gefühl und wollte wieder zurück zu seinem Team gehen, als dieses charakteristische Kribbeln in seinem Bauch immer stärker wurde. Langsam drehte er sich wieder um, ließ das soeben Gesehene wie einen Film in seinem Kopf ablaufen, wie er es heute schon einmal gemacht hatte, und immer war sein Range Rover im Zentrum gestanden: Elena Kafka geht im Regen über den Parkplatz. Vorbei an seinem Auto. Sie schnippt die Zigarette in eine Pfütze. Stopp. Es war anders. Sie betrachtet das halb fertige Graffiti auf der Fahrertür. Schüttelt den Kopf. Schnippt die Zigarette weg. Wieder zurück. Betrachtet das Graffiti. Das Graffiti.
„Scheiße, ich Idiot!“ Braun schlug sich mit seiner flachen Hand auf die Stirn. „Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen!“
18. Das Feuer und der Schnee
Das Feuer hat den Kaftan entzündet, der aus einem billigen Kunstfasermaterial ist. Von unten sieht man sie jetzt am Fenster stehen, ihre Umrisse sind von den Flammen hell erleuchtet und sie weiß, dass sie sterben wird, wenn sie nicht springt.
Dennoch zögert sie und wagt nicht, die zwei Stockwerke nach unten in den Schnee zu springen. Was gibt es da noch zu überlegen? Lieber ein gebrochenes Bein als bei lebendigem Leib zu verbrennen. Doch der Kaftan hat sich an einem der Haken, mit denen die Vorhänge immer seitlich zusammengerafft werden, verfangen. Billiger Stoff, aber reißfest, brennt wie Zunder, gibt aber trotzdem nicht nach.
Von hier unten sieht man, dass ihre Haare auch schon Feuer gefangen haben. Warum reißt sie sich den Kaftan nicht vom Leib und springt nackt nach unten?
Ist doch nichts dabei!
Sie läuft doch auch sonst gerne nackt durchs Haus. Aber jetzt hat sie die Panik ergriffen und sie kann nicht mehr klar denken.
Ist paralysiert.
Die Kunstfaser des Kaftans schmilzt und brennt sich in ihre Haut. Brennt dort einfach weiter, bringt jetzt ihre Haut zum Brennen, einzelne Fasern brennen sich wie glühende Würmer durch die Haut bis in das Fleisch. Muskeln und Sehnen verschmoren. Endlich reißt der Kaftan in Stücke und sie springt. Stürzt die zwei Stockwerke nach unten direkt in einen Schneehaufen, bleibt unverletzt. Sie rappelt sich sofort wieder hoch, doch das Feuer auf ihrem Körper ist nicht erloschen. Im Gegenteil, die Kunstfasern in ihrem Fleisch lodern im Wind hell auf und jetzt stehen ihre
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