Alle Orte, die man knicken kann
vor vierzig Jahren blühte. Von der westlichen Spitze namens
Land’s End
aus fotografieren alle Besucher den Sonnenuntergang. Das Ganze ist wie Schleswig-Holstein, nur mit Linksverkehr. In die beliebten Roundabouts (durchschnittlich alle fünfhundert Meter) fährt man nach links ein. Sonst reagieren die Entgegenkommenden überrascht. Wer einen Leihwagen nimmt, bucht Vollkasko, denn der Fahrersitz rechts lässt das Auto nach links sonderbar breit wirken. Abstände sind schwer einzuschätzen. Deshalb sind die Straßen Cornwalls nicht nur eng und bisweilen steil, sondern gesäumt mit abrasierten Seitenspiegeln und verbeulten Blechteilen. «Die Urlauber vom Kontinent waren hier.»
Schottland
A lte Klischees besagen, die Schotten seien geizig, ihre Landschaft eintönig, das Wetter regnerisch. Wer einmal dort oben war, weiß es besser. Die Schotten sind nicht geizig, sie geben nur einfach kein Geld aus. Ihre Landschaft ist nicht eintönig, sie ist vielmehr auf mannigfaltige Weise monoton. Und das Wetter ist keineswegs regnerisch, sondern bietet faszinierende Varianten von Niederschlag: Nebel, Hochnebel, Kriechnebel, Nieseln, Sprühregen, Platzregen, Landregen, Dauerregen, Starkregen, gefrierenden Regen, Graupelschauer, Hagelschauer, Wolkenbrüche, Schneeregen, Schneeschauer, Schneestürme und zuweilen Gewitter. Und das alles nicht mit großen, langweiligen Abständen, sondern ineinander übergehend.
In Schottland gebe es
four seasons in one day
, besagt der landesübliche Wetterspruch. Mit den
four seasons
sind die vier schottischen Jahreszeiten gemeint: Frühherbst, Spätherbst, Winter und überraschender Kälteeinbruch. Diese
Seasons
werden nicht nur von heftigen Niederschlägen begleitet, sondern vor allem von starkem Wind. Regenschirme sind unüblich in Schottland; sie würden umknicken, sobald man vor die Tür tritt.
Unerschrockene Reisende benötigen mehrere Schichten wasserabweisender Kleidung mit Doppelkapuzen, denn besonders bei kleinen Streifzügen über Land gibt es keine Möglichkeit, sich unterzustellen. Das liegt daran, dass Schottland zwar Gebüsch hat, aber nur wenige oder gar keine Bäume. Das Land ist so kahl wie das Haupt seines berühmtesten Fürsprechers, Sean Connery. Dersiedelte übrigens so früh wie möglich auf die Bahamas um und bekundete seine Solidarität von dort aus.
Fontane, der das Land vor hundertfünfzig Jahren bereiste, notierte: «Öde Landschaft, wenig los, ab und zu kommt mal die Artillerie vorbei.» Inzwischen bleibt sogar die Artillerie lieber zu Hause. Aber manchmal kreuzt ein Hirte mit seinen Schafen und Hunden den Weg. Das ist fast so spannend wie Artilleriebeschuss, denn die Hunde müssen sich wegen der Sparsamkeit der Halter ihre Nahrung selbst erjagen. Unbewaffnete Touristen gelten als lecker.
Weitere in Schottland geschützte Raubtiere sind die Stechmücken,
midges
genannt, die aber nur an wenigen Tagen zum Vorschein kommen: an den schnee- und sturmfreien Tagen. Wenn es im Sommer mal einen bleiern bedeckten Tag gibt, dann kommen die
midges
aus den Büschen, in dunklen Schwärmen, vorzugsweise bei Dämmerung. Wer eine Wandergruppe rennen sehen will, muss nur ausrufen: «Midges!», und die Panik beginnt. Wer dann selbst vom Schwarm überfallen wird, weiß, warum. Die schottischen Highland-Dances sollen entstanden sein, als Männer in Röcken von
midges
heimgesucht wurden. Das Jucken der Stiche kann durch das Auftragen von selbstgebranntem Whisky gelindert werden, die innerliche Anwendung des Getränks wirkt jedoch schneller.
Das ist die Natur. Gibt es sonst noch Sehenswürdigkeiten? Nein. Allerdings gibt es Städte. Edinburgh zum Beispiel. Ein Besuch lohnt sich. Wer sich einmal durch diese düsteren Häuserreihen geschleppt hat, weiß endlich sein Zuhause zu würdigen. Und Glasgow? Wer durch Glasgow gewandert ist, sagt man, weiß endlich Edinburgh zu würdigen. Zwischen diesen Hochburgen des Trübsinns stehen Dudelsackspieler in den Kurven der Highlandstraßen. Gegen viel Geld lassen sie sich dazu bewegen, wenigstens vorübergehend mit dem Spielen aufzuhören.
Und natürlich gibt es die Lochs, jene tiefen Seen, die in der Eiszeit entstanden sind. Aus einem von ihnen, aus dem Loch Ness, hat vor Jahrzehnten mal ein Urzeitungeheuer versehentlich den Kopf gehoben. Das war 1934. Es drehte den drachenhaften Schädel ungläubig nach allen Seiten, entsetzte sich, tauchte rasch wieder unter und durchschwamm eilig den Caledonian Canal, um in den Atlantik zu fliehen. Nach
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