Alle Rache Will Ewigkeit
und unwohl war. Niemand war zu Haus, aber sie dachte sich nichts dabei, weil ihre Mutter als Freiwillige bei einem Nachbarschaftsprojekt mitgearbeitet hatte, bei dem ein Mietshaus mit Wohnungen alter Leute renoviert wurde. Sie war zu Bett gegangen und schlief den Rest des Tages.
Als Howard Calder von der Arbeit nach Haus kam, war er überrascht, nur Jay zu Haus anzutreffen. Jenna hatte es niemals versäumt, rechtzeitig von ihrem freiwilligen Arbeitseinsatz wieder nach Haus zu kommen, um das Abendessen für die Familie zu machen. Er und Jay warteten bis sechs, dann ging Howard zu dem Sanierungsprojekt hinüber. Das Gebäude fand er abgeschlossen und verlassen vor. Nach fast einer Stunde hatte er endlich den Hausmeister der Wohnungen aufgetrieben, der ihm sagte, die Arbeiten seien mittlerweile beendet. Nur eine Handvoll Freiwillige seien an diesem Tag noch da gewesen und hätten letzte Feinarbeiten in zwei der Wohnungen erledigt. Nach Howards Beschreibung erkannte er Jenna, konnte sich aber nicht erinnern, sie an diesem Tag gesehen zu haben. Sie hatte zuletzt an Wohnung 4 C mitgearbeitet, und er meinte, die sei am Tag zuvor schon fertig geworden.
Howard kehrte nach Hause zurück, aber Jenna war immer noch nicht heimgekommen und hatte sich auch nicht per Telefon gemeldet. Er entschloss sich, die Polizei anzurufen, um sie als vermisst zu melden. Charlie stellte sich vor, wie der diensthabende Polizist den Anruf entgegennahm. Wieder mal eine Frau, die von ihrem Mann genug hatte; der seinerseits konnte nicht glauben, dass sie die Frechheit besitzen könnte, ihn zu verlassen. Der Beamte hatte vorgeschlagen, Howard solle nachsehen, ob persönliche Gegenstände seiner Frau fehlten. Bisher war Howard nicht einmal der Gedanke gekommen, dass Jenna ihn verlassen haben könnte.
Er brauchte nicht lange, um festzustellen, was fehlte. Ein kleiner Koffer, Unterwäsche und ein paar Blusen, Zahnbürste und Toilettenartikel, ihr Pass, ihre Geburtsurkunde und ein gerahmtes Foto von Jay im Alter von sechs Jahren. Alles, was man brauchen würde, um ein Leben hinter sich zu lassen und wieder von vorn zu beginnen, dachte Charlie. Es war erstaunlich, mit wie wenig man auskam.
Die Polizei hatte kein großes Interesse, und Charlie konnte den Beamten keinen Vorwurf machen. Aber Howard war hartnäckig. Er machte die anderen Projekthelfer ausfindig und erfuhr, dass seine Frau mit dem Projektleiter, einem Holländer namens Rinks van Leer, freundschaftlich verkehrt hatte. Van Leer war nach Holland zurückgekehrt, sollte aber eine Woche später ein neues Renovierungsprojekt in York beginnen. Howard fuhr nach York und erwartete, Jenna dort zu finden, aber sie war nicht da, und van Leer stritt ab, dass sie Roker mit ihm verlassen hätte.
Also war Howard wieder zur Polizei gegangen. Dieses Mal nahm man ihn etwas ernster. Es war ungewöhnlich, dass eine Frau ein Kind, auch wenn es eine Sechzehnjährige war, ohne ein Wort zurückließ, noch dazu ohne augenscheinlich einen Freund zu haben, zu dem sie gehen konnte. Aber die Ermittlungen der Polizei endeten bald in einer Sackgasse. Man sprach mit den Kollegen in Holland, es gab jedoch keine Hinweise, dass Jenna je dort gewesen wäre, und bei van Leer, der sich den größten Teil der Woche bei Freunden in Leyden aufgehalten hatte, war sie jedenfalls nicht gewesen. Keiner der anderen Helfer konnte bezeugen, Jenna an dem Freitag, an dem sie verschwand, gesehen zu haben. Charlie hatte deutlich den Eindruck, dass die Polizei Jenna Calder bald nicht mehr auf dem Schirm gehabt hätte, wenn Howard nicht jede Woche zur Polizeiwache gekommen wäre, um sich über den Stand der Dinge unterrichten zu lassen. Wenn sie freiwillig gegangen wäre, dann hätte sie sich gemeldet. Deshalb musste ihr etwas zugestoßen sein. Von dieser Behauptung war er nicht abzubringen. Nach einem Jahr erschien in der Akte die knappe Feststellung: »Mr. Calder wurde mitgeteilt, dass der Fall keine Priorität mehr habe und dass er benachrichtigt wird, sollte es neue Fortschritte geben.« Die weiteren Überprüfungen des Falls waren gründlich, aber reine Routinearbeit. Es gab keine Fortschritte.
In der Akte stand auch, dass Calders Stieftochter zwei Wochen nach dem Verschwinden ihrer Mutter zu einem Lehrer ihrer Schule gezogen sei. Es wurde angemerkt, Jay hätte ausgesagt, ihre Mutter sei mit einem Freund weggelaufen, weil ihr Stiefvater ein »tyrannischer Bastard« sei. Sie glaubte, das Schweigen ihrer Mutter habe ihren Grund darin,
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