Alle Rache Will Ewigkeit
diesem Fall wäre der Anfang …?«
»Der erste Vorfall, von dem wir wissen. Der Tod der Rudersportlerin.«
»Und wo soll ich suchen?«
Stirnrunzelnd bestrich Maria ihre Toastscheibe mit Butter. »In Oxford, natürlich. Schließlich ist es in einer Zeit passiert, als noch nicht alles online war. Du wirst in den Zeitungsarchiven suchen müssen. Es muss eine gerichtliche Untersuchung der Todesursache gegeben haben. Darüber muss es auch irgendwo Unterlagen geben. Außerdem hat mit Sicherheit die Polizei ermittelt. Vielleicht gibt es ja irgendwo einen pensionierten alten Kripobeamten, der bereit ist auszupacken. Zumindest gibt es die doch immer in den Kriminalromanen.«
Charlie lachte. »Ich glaube langsam, du bist schärfer auf diese Sache, als ich es bin.«
»Du musst doch zugeben, dass es eine Wahnsinnsgeschichte ist. Ich erwarte ausführliche Berichte in jedem Stadium der Ermittlungen.«
Charlie verspürte einen Anflug von Schuldbewusstsein. Es würde gewisse Aspekte ihrer Unternehmungen in Oxford geben, von denen sie Maria nichts berichtete. Aber vielleicht erwiesen sich die Recherchen zu Jays Vergangenheit ja als Mittel gegen ihre Gefühle für Lisa. Sie hatte sich einreden wollen, die unerlaubten Gefühle hätten sich nur verstärkt, um die Leere in ihrem Leben auszufüllen, aber das funktionierte nicht. »Ich werde dich auf dem Laufenden halten«, versprach sie. »Ich habe erst am Mittwoch wieder Unterricht, also kann ich heute zurück nach Oxford fahren.«
»Das ist vernünftig«, stellte Maria fest. »Wirst du bei Corinna unterkommen?«
Charlie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Wenn Magda sich gestern Henry gegenüber wie geplant geoutet hat, dann wird eine weitere Lesbe nicht gerade willkommen in seinem Hause sein. Corinna soll mir einfach ein Gästezimmer des Colleges buchen. Zurück zur spartanischen Kammer aus Studentenzeiten.«
Maria grinste. »Dann wird dich wenigstens nichts von deiner Aufgabe ablenken.«
Charlie besaß den Anstand, sich zu schämen. »Nein, in Scholastika nicht«, antwortete sie.
Maria steckte das letzte Stück Toast in den Mund und erhob sich. »Sei vorsichtig«, ermahnte sie Charlie, kam dann um den Tisch herum und umarmte sie. »Könnte sein, dass sich da draußen ein Mörder herumtreibt.«
Das ist nicht die einzige Gefahr, dachte Charlie und lächelte schwach. Bei weitem nicht.
12
D ie Ziffern auf der Digitaluhr sprangen von 4 : 16 auf 4 : 17 . Jay bewegte sich vorsichtig, um Magda nicht zu wecken. Sie schliefen in der Regel mit ineinander verschlungenen Beinen, die Oberkörper aber auf Distanz. Das war eine Stellung, die sich für beide als angenehm erwiesen hatte. Der enge Hautkontakt gab Geborgenheit, doch wenn Jay in den frühen Morgenstunden aufwachte und wusste, dass sie nicht wieder einschlafen konnte, war es nicht leicht, sich unbemerkt herauszuwinden. Dies war seit Kathys Tod und den schlimmen Alpträumen, die er mit sich gebracht hatte, die Regel. Nacht für Nacht war Jay schweißgebadet und mit völlig verkrampftem Körper aufgewacht. Es war immer der gleiche Traum gewesen: der Schneesturm und die beißende Kälte auf dem weißen Berg. Und dann der Schrei, den es nur in ihrer Phantasie gegeben hatte. Der Schrei, der sie jede Nacht aus dem Schlaf fahren ließ.
Dieser Alptraum hatte sie monatelang verfolgt, bevor sie letztendlich akzeptierte, dass sie ihn erst loswerden würde, wenn sie professionelle Hilfe in Anspruch nahm. Es gab sogar einen passenden Ansprechpartner in ihrem Umfeld – einen Therapeuten, den sie seit ihrer Studienzeit kannte. Jay war erstaunt gewesen, dass sie so gut auf Hypnose ansprach. Sie hatte immer vermutet, dass starke Charaktere mit genügend Willenskraft nicht so leicht dazu gebracht werden konnten loszulassen. Doch sie fiel sehr schnell in Trance und konnte sich später nicht mehr daran erinnern, was passiert war. Das war auch nicht wichtig. Wichtig war, dass die Alpträume aufhörten. Sie wollte sich einfach nur ins Bett legen können, ohne dass der Traum sie einholen und ihr den Schlaf rauben würde.
Die Phase der Alptraumnächte klang ab, doch sie hatte eines für immer verändert: Jay hatte entdeckt, dass sie, genau wie Margaret Thatcher, wesentlich weniger Schlaf brauchte als die meisten ihrer Mitmenschen, um perfekt zu funktionieren. Sie benötigte lediglich vier oder fünf Stunden, um erfrischt und fit zu sein für die Anforderungen des nächsten Tages. Sie war fest davon
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