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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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womit?, mit etwas . Er war noch nie sehr gesprächig, sie war für die Konversation zuständig, und manchmal, wenn es Lust dazu hatte, das Kind. Diesmal: Als zögen ganze Engeltruppen durch den Raum, aber, und das ist interessant, das war nicht unangenehm. Das ist interessant, dachte Mercedes. Sie sah Abel schon die ganze Zeit an, was man forschend nennt, und dann, als Omar auf die Toilette ging und sie beide sitzen blieben, der verletzte Knöchel lag zwischen ihnen auf einem Extrastuhl, sagte sie, und ihre Stimme klang ganz leicht:
    Übrigens, die Anhörung wegen meines Unfalls ist in zwei Wochen. Sie haben auch eine Vorladung bekommen. Das heißt: mein toter Lebensgefährte Tibor B. hat, dem Nachsendeantrag sei Dank, eine Vorladung bekommen.

    Damals glaubte sie, es wäre nur der Schmerz, sie saß auf dem Asphalt, später auf der Trage, man hob sie in den Wagen, es rumpelte, wer hätte gedacht, dass sie es überhaupt hören konnte: Wie er auf die Frage des Polizisten, wer er, der hilfsbereite Taxigast und Zeuge denn sei, antwortete: Tibor B., wohnhaft in. Und stieg mit in den Krankenwagen ein, als gehörte er bereits zu ihr.
    Spricht es für oder gegen ihn? Als er sich als ihn ausgab, wusste Abel nicht, dass Tibor tot war. Er erfuhr es einpaar Stunden später, von Omar.
    Oh …
    Ja, sagte Omar. Ich bin mit den Großeltern in die Ferien gefahren, und als ich wiederkam, war er tot, und wir waren umgezogen.

    Es tut mir Leid, sagte Abel jetzt. (Als wäre er sogar etwas errötet. Wer hätte das gedacht.)
    Schon gut, sagte Mercedes.
    Omar kam zurück:
    Was ist?
    Kleine Pause, dann, das hätte ich, Mercedes, auch nicht erwartet, erzählte es Abel dem Kind. Was vorgefallen war. Ich habe mich als ein anderer ausgegeben.
    Oh, sagte Omar. Po tschemu? Warum hast du das getan?
    Man konnte zusehen, wie es im Zimmer dunkler wurde. Der Marmortisch schimmerte mondfarben.
    Also schön.
    Die Sache ist simpel, sagte Abel. Der Staat, in dem er geboren worden sei und den er vor fast zehn Jahren verlassen habe, sei in der Zwischenzeit in drei bis fünf neue Staaten gespalten worden. Und keiner dieser drei bis fünf sei der Meinung, jemandem wie ihm eine Staatsbürgerschaft schuldig zu sein. Dasselbe gelte für seine Mutter, die nun zur Minderheit gehöre und ebenfalls keinen Pass bekomme. Er könne hier nicht weg, sie könne von dort nicht weg. Man telefoniere. Einen Vater gäbe es auch, dieser besäße sogar die Bürgerschaft eines sechsten, also unabhängigen Nachbarstaates, allerdings sei er vor nicht ganz zwanzig Jahren verschwunden und sei seitdem unauffindbar. Ach so, und da er selbst einer Einberufung nicht Folge geleistet habe, gelte er bis auf weiteres als Deserteur.
    Oh, sagten Mercedes und Omar. So ist das.
    Ja, sagte er und bat noch einmal um Entschuldigung.
    Ich würde sagen, sagte Tatjana später, das war der Moment.
    Jemand wie Mercedes kann unmöglich jemandem widerstehen, der so in der Bredouille steckt, dass er die Identität eines Toten annimmt. Das Zwielichtige, das Lächerliche und das Tragische. So ist es.
    Bis zu den Verabschiedungen sagten sie nichts mehr. Ein Mann im Dunkeln. Weiße Hände, einander locker haltend.

Frühling
    Letztes Frühjahr, damals noch: nach dem Unterricht, ging Mercedes in ein Antiquariat in der Nähe ihrer Schule. Ein wirklich winziges Antiquariat, zwischen Eingangstür und Kassentisch ist gerade soviel Platz, dass sie, die nicht sehr groß ist, sich bequem hinlegen könnte, sollte sich dafür ein Anlass ergeben. Indem man sich zum Beispiel verirrt und bis zum Ladenschluss nicht wieder herausfindet aus diesem vorgeblich so winzigen Raum. Das wäre durchaus vorstellbar, denn es ist alles so voll gestellt mit Büchern, überall stapeln sie sich, in Regalen, auf Tischen, auf dem Boden, dass es wohl keinen lebendigen Menschen gibt, geben kann, der sich hier zurecht findet.
    Fragen Sie mich doch einfach, riet der Besitzer. Selbstporträt des Künstlers als der Gesalbte, die cognacfarbenen Christushaare reichen bis unter die Tischkante, hinter der er in sehr gerader Haltung sitzt. Ob er Beine hat? Wonach suchen wir denn?
    Mercedes dachte an etwas in der Art eines zweisprachigen Rimbaud-Bandes.
    Er an ihrer Stelle würde da lang gehen. Der Mann, der wie Dürer aussah, zeigte die Richtung an. Es ist nicht weit.
    Die Gazellen sind nur zwei Tagesmärsche entfernt , dachte Mercedes, während sie schmunzelnd durch das staubige Chaos balancierte. Die Kanten der Büchertürme berührten sie am

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