Alle Tage: Roman (German Edition)
Schenkel: weiße Staubstreifen auf dunkler Kleidung. In den anderen Gängen scharrte es. Andere Kunden oder Mäuse. Ratten. Tauben. Mercedes, die eine Abneigung gegen gewisse Tiere hat, bekam eine Gänsehaut.
Haben Sie es? Die Stimme des Besitzers. Normalerweise müssten Sie jetzt genau davor stehen.
Sie sah ins Regal, und tatsächlich, genau auf Augenhöhe: ein zweisprachiger Rimbaud. Sie lachte. Von diesem Typ muss ich den anderen erzählen. Könnte es sein, dass es ein Antiquariat gibt, in dem jeder das findet, was er sucht? (Alegria anrufen.) Hier kam jemand in den Laden, man hörte die Tür, dann, dass der Antiquar zu jemandem sprach. Mercedes, auf ihrem Weg hinaus, folgte der Stimme. Als sie wieder am Kassentisch ankam, steckte sich der Kunde gerade das Wechselgeld in die Hosentasche.
Oh, hallo, guten Tag, sagte Mercedes zum Russischlehrer ihres Sohnes. Und weil sie den Eindruck hatte, er hätte sie nicht erkannt, ergänzte sie: Ich bin Mercedes, Omars Mutter.
Abel nickte. Natürlich. Er wisse das. Guten Tag.
Das Geld in die Hosentasche, das gekaufte Buch in die Tasche des schwarzen Mantels. Es passte nicht ganz hinein, ein Streifen des hellen Leineneinbands stand über, man sah es schon von weitem: Dieser Mann trägt ein Buch bei sich. Mercedes ihrerseits kaufte einen Sommer in der Hölle, anschließend gingen sie einen Teil des Wegs zusammen.
Mercedes ist klein, sie reicht ihm nicht einmal bis zur Schulter, er ging etwas gebeugt neben ihr her. Diese Haltung lässt ihn älter erscheinen, als er ist. Oder jünger. Ein Teenager, der nicht weiß, wohin mit seinem Körper. Ich denke gleichzeitig wie an einen Greis und wie an ein Kind an ihn. Das erste Mal, dass sie ihm woanders als bei sich zu Hause begegnete, die erste Unterhaltung zu zweit. Sie gingen auf den Park zu, ein April in offenen Wintermänteln, alles war etwas feucht, obwohl es nicht regnete. Erwachende Natur in der Mitte der Stadt.
Khrm, sagte Mercedes. Wie läuft es mit dem Unterricht?
Großartig, sagte Abel.
Sie freute sich, das zu hören. Sie habe gehört, er unterrichte noch mehr Kinder.
Ja.
Er tue das offenbar gerne.
Ja.
Auch sie sei gerne Lehrerin.
Darauf sagte er nichts.
Wie es mit der Dissertation laufe?
Wieder: Pause. Darin: das bemerkenswert synchrone Geräusch ihrer Schritte und, als Gegensatz, das unrhythmische Klimpern des Wechselgeldes in seiner Hosentasche. Männer, die ihr Kleingeld in der Hosentasche tragen. Mercedes’ Verhältnis dazu ist zwiespältig. Wie überhaupt alles in diesem Moment irgendwie einerseits-andererseits war. Hier der elegante Rhythmus seiner Schritte, dort das missklingende, proletarische Klimpern der Münzen. Ebenso seine Antworten. (Vor allem: Es gab nur Antworten. Dass er etwas fragte, kam diesmal überhaupt nicht vor und später auch nur, wenn es sich absolut nicht mehr vermeiden ließ. Wo finde ich den Bahnhof?) Zum einen gab es die Stimme: in Fülle und Melodie das Beste aus Weiblichem und Männlichem, zum anderen musste man ihm alles aus der Nase ziehen und dann wusste man nicht, ob er ironisch war oder nur unbeholfen. Auf die Frage, wie es mit seiner Arbeit laufe, antwortete er nach einer kurzen, aber unleugbaren Pause: Es ginge .
Ich, sagte Mercedes, habe meine Doktorarbeit auch nie zu Ende geschrieben. Pardon, ich meine, ich habe meine Doktorarbeit nicht zu Ende geschrieben. Und jetzt, da sie unterrichte, sei ihr endgültig klar geworden, dass sie nie einen wissenschaftlichen Verstand oder wenigstens ein Interesse gehabt habe.
Darauf sagte er wieder nichts, was sollte er darauf auch sagen.
Sag etwas auf Russisch!, sagte Mercedes später, zu Hause, zu ihrem Sohn.
Das geht so nicht, sagte Omar. Man kann nicht einfach etwas sagen.
Dann sag: Ich liebe meine Mutter.
Ja jublju maju matj.
Das hört sich gut an, sagte Mercedes. Worüber redet ihr noch?
Omar zuckte mit den Achseln, was sonst nicht seine Art ist, und sagte: Worüber man so redet. Grammatik. Landeskunde.
Ich glaube, sagte Mercedes zu ihren Eltern, er mag ihn. Er ahmt niemanden nach, den er nicht leiden kann. Er zuckt auch immer mit den Achseln wie ein Halbwüchsiger.
Das hast du also beobachtet. (Alegria)
Mercedes: Tibor hat leider keine Zeit, sich mit dem Kind zu beschäftigen. Er lebt ganz für seine Arbeit.
Miriam nickte: So, wie es nur absolute Egoisten wie er können.
Alegria tat so, als wäre er in Gedanken versunken gewesen, und wachte jetzt auf: Wer?
Abel und Mercedes gingen bis zur Nervenheilanstalt,
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