Alle Tage: Roman (German Edition)
BINDEN UND LÖSEN
Übergang
Was denkst du, dass du
Es ist schief gegangen, wieder einmal. Wesentliche Kleinigkeiten, die sich nicht fügen wollten, oder doch, nach ihrer eigenen schrägen Logik. Mercedes winkte nur noch ab. Sie verließen das Gebäude gemeinsam. Rücksichtsvoll passten sich die Frauen seinem Tempo an. Er ging in den Park, setzte sich auf eine Bank. Rundherum das übliche Gejodel, Gebimmel, Gebell, all das störte ihn nicht, er schlief bald ein. Jetzt wacht er auf, und dieser Irre sitzt neben ihm. Du hast mir gerade noch gefehlt.
Der Zeitsprung ist beträchtlich, dennoch, kein Zweifel, er ist es. Im Grunde sieht er noch so aus wie damals. Ich sehe auch aus wie damals. Wir tragen sogar noch dieselben Klamotten. Mehr oder weniger. Vielleicht um eine Spur zerknitterter. Schläft zerknittert auf einer Parkbank, Montag nachmittag, erwacht, blinzelt desorientiert, wo, wann bin ich, und wer bist du? Das letzte Mal haben sie sich vor sieben Jahren gesehen. Seitdem, eine bemerkenswerte Leistung, quasi um die Ecke gewohnt und trotzdem keine einzige Begegnung mehr. Wer hat das so arrangiert? Übertrieben oder nicht, vielleicht ist es sogar das Normalste, Konstantin musste noch jahrelang an ihn denken, manchmal fiel es ihm ein, bewusst Ausschau nach ihm zu halten, aber: nichts. Und jetzt.
Kein anderer hätte sich nach sieben Jahren neben einen Schlafenden auf die Bank gesetzt und trotz rumorenden Magens – das sind die Unwägbarkeiten fremder Küchen – wie lange? ausgeharrt, bis der Andere endlich aufwachte, um dann so zu tun, als würde man einen gerade erst vor Stunden fallen gelassenen Faden wieder aufnehmen: Du bist also auch noch hier.
Aufzuzählen, was Konstantin in der Zwischenzeit alles widerfahren ist, wäre zuviel. Es ging weiter mit ihm, wie es immer ging: eine lange Reihe von Ungeschick- und Ungerechtigkeiten, an deren vorläufigem Ende ein Mittagessen in der Armenspeisung steht. Ja, Hunger hat auch eine Rolle gespielt, aber im Wesentlichen geht es darum, die Zeit bis zum Abend zu füllen, wenn Konstantin ein Treffen mit einpaar Gestalten hat, die man sich normalerweise wünscht wie einen Buckel, aber was kann man tun. Den Tag mit einer Demütigung beginnen, damit’s nicht mehr schlimmer werden kann. Aber dir werde ich nichts davon auf die Nase binden. Auch die Umstände ihrer Trennung erwähnt er nicht, weder den Vorfall selbst noch das, was danach kam, kein Wort oder weinerliches Lamento. Sitzt nur da, etwas näher als es angenehm ist, im linken Mundwinkel hat er einen roten Soßenklecks, und fragt:
Was machst du hier (alter Freund)?
Für einen Moment hoffte Konstantin, die Antwort könnte lauten: Ich wohne jetzt hier. Die Wärme der Schadenfreude flutete seinen Körper. Aber gleich darauf folgte auch schon das Mitgefühl, ich bin ein solidarischer Mensch, der doch nur darauf wartet, gerade an einem Tag wie diesem einen zu finden, dem es noch elender geht. Und dann? Ihn mit nach Hause nehmen? Von vorne anfangen? Immer wieder? Warum? Weil die Alternative was wäre?
Aber nur langsam. Sich dieses Gesicht genauer ansehen. Was ist das? Bist du hingefallen? Hat dich jemand verprügelt? Was hast du getan? Oder hast du gar nichts getan, es war einfach, was gar nicht so selten ist, die alltägliche Willkür? Und was ist das hier? Als wäre es Make up. Es gibt Momente der absoluten Klarsicht. In so einem sah nun Konstantin, wie konnte es mir jemals entgehen, absolut klar: Der Mann neben ihm hat ein dunkles Geheimnis der sexuellen Art. Dabei hört man, er sei verheiratet. Wieso hast du, Glückspilz, einen Pass durch Scheinehe und ich nicht?
Abel beantwortete, was hast du erwartet, keine der Fragen. Gestellt oder nicht. Sagte nicht, was er hier macht. Ich sitze auf einer Bank, das sieht man doch.
War wohl eine harte Nacht?
Abel machte eine Kopfbewegung, zwischen Nicken und Schütteln. So, so.
Das Folgende ist verschwommen. Was sie redeten, das heißt, er: Konstantin, wegen seines sich windenden Magens, nein, das sind die Därme, hin und her rutschend auf der Bank, Abel übrigens ebenso, wenn auch aus anderen Gründen.
Alles OK? fragte Konstantin, als sich Abel nach einpaar rasselnden Atemzügen schließlich nach vorne beugte, die Ellbogen auf die Knie stützte und zwischen seine Füße auf den staubigen Boden voller Zigarettenkippen starrte. Auf seinem Nacken glänzte Schweiß.
Hm, sagte Konstantin und wartete eine Weile still. Bis der Wind ihn getrocknet hat.
Du, sagte Konstantin. Ich will
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