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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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Gedanke… Sie hatte das Gefühl, im Stehen zu schwanken, wollte sie ihm ins Gesicht schauen, musste sie immer wieder scharf stellen, wie in einem fahrenden Zug, mir taten schon die Augen weh, und plötzlich schien er überhaupt kein bestimmtes Geschlecht mehr zu haben, ein Ichweißnichtwas, ein seltsamer Zwitter, der Mensch glitt ihr seitwärts von der Zunge, irgendwo darunter, wo sie im Speichel rührte. Schließlich brachte sie doch etwas hervor:
    Ich finde, du hättest es mir ruhig sagen können. (Schließlich steht es nicht auf seiner Stirn geschrieben.)
    Tut mir Leid.
    Ach, hör doch auf mit diesem ewigen Es tut mir Leid!!!
    Das war das Lauteste, was sie vermutlich seit Jahren gesagt hat. Darauf folgte wieder etwas Schweigen.
    Dass sie sich an die gemeinsame Vereinbarung halten würde, sagte Mercedes. Das heißt, noch etwas mehr als ein Jahr mit ihm verheiratet bleiben. Aber es wäre wohl am besten, wenn er sich in Zukunft von ihrem minderjährigen Sohn fern halten würde.
    So fand Omar A.s Sprachunterricht ein zweites Mal ein jähes Ende.

    Jeder hat sein Talent, sagte Mercedes. Meins ist es, das Unmögliche zu lieben.
    Angenommen, du magst aus offensichtlichen, also äußerlichen oder verborgenen, also unbekannten Gründen jemanden. Bis zu einem gewissen Punkt läuft auch alles glatt, obwohl oder gerade weil er nichts Besonderes macht. Im Grunde macht er gar nichts, er existiert nur, so oder so. Und plötzlich oder allmählich wird dieser Mensch zu einer Kette von Irritationen und Ärgernissen. Diese ganzen Scherereien, die ein höflicher Mensch seiner Scheinehefrau nicht zumuten würde. Aber darum geht es gar nicht. Für das meiste habe ich wirklich Verständnis, wie denn auch nicht, es ist meine verdammte Haupteigenschaft, Verständnis zu haben. Und natürlich hat es auch eine Rolle gespielt, dass Omar …, aber ich will mich nicht auf ihn herausreden. Vor der eigenen Türe kehren, das ist das Mindeste, und wenn es peinlich ist. Tatsache ist: Ich habe mich da von Anfang an in etwas hineingesteigert und mich in jemanden verliebt, von dem ich doch ahnte, dass er nichts anderes wollte, als um jeden Preis einsam zu sein, eine Randfigur, in nichts wirklich eintreten. Seine zehn Sprachen hat er auch nur gelernt, um einsamer sein zu können als mit drei, fünf oder sieben. Ich habe es geahnt, selber schuld also, und deswegen bin ich ihm auch nicht böse. Aber was sie nicht verstehe, sagte Mercedes, sei, dass er ihr die Hand geküsst und sie nach Hause gebracht und sie gestützt und ihr geholfen hat, die Treppen hochzugehen, und hier, vor der Tür, wäre unter Umständen der nächste Handkuss dran gewesen, oder meinetwegen ein Handschlag, quasi den Vertrag zu besiegeln, aber was hat er getan? Sie wollte gerade losstottern, sich erklären, natürlich, wollte sie sagen, natürlich ginge es um nicht mehr als um diese gewisse bürokratische Angelegenheit bezüglich seines Statusses … , als er sich herunterbeugte und sie auf den Mund küsste. Nichts, was man noch nicht gesehen hätte, er machte nichts Spektakuläres, es war einfach nur: gut. Überraschend, vielversprechend. Ein talentierter Kuss. Dann ging er, und ich dachte noch, was für ein Gentleman.
    Ich will nicht soweit gehen, zu sagen, er hätte das berechnet: Hand, Begleitung, Kuss. Aber es ist ausgeschlossen, dass er nicht wusste, dass er mir Hoffnungen machte, und zwar immer wieder, um sie dann immer wieder zu enttäuschen. Das war nicht nett, ganz und gar nicht, da kannst du noch so freundlich und höflich sein. Irgendwann tat es mir dann gar nicht mehr weh, es war nur sehr anstrengend, vier Jahre lang war es vornehmlich das: anstrengend. Jetzt möchte ich nichts mehr, als es hinter mir haben. Soviel zu dieser Ehe. Ich ruf dich an, wenn was ist, aber es war nichts.

    Die am häufigsten anerkannten Scheidungsgründe sind: eins: Untreue, zwei: Unfruchtbarkeit, drei: Kriminalität, vier: Geisteskrankheit. Nur die Besten schaffen alle vier. Tatjana lacht.
    Man braucht heutzutage keinen Grund, sagt Mercedes. Sag ja, sag nein, fertig.
    Eine Weile sagt jetzt keiner was. Dann, Tatjana:
    Du weißt, dass du die Ehe auch annullieren lassen könntest?
    Gründe können sein: Inzest, Bigamie, Eheschließungen von Minderjährigen oder Geisteskranken, eine Eheschließung, die mit betrügerischen Mitteln veranlasst wurde, sowie sexuelle Impotenz zur Zeit der Eheschließung.
    Wenn ich die Ehe annullieren lasse, sagt Mercedes, verliert er seinen Pass.
    Achselzucken.

VII.

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