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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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er zur Tür gehinkt kam, stand sie schon auf der Schwelle. Frappierende Ähnlichkeit. Blonde Haare, rote Wangen, Hakennase, kräftige Augenbrauen, grüne Vogelaugen knapp darunter. Schaut mich streng an.
    Mein Bruder Halldor, Ihr Nachbar, ist seit drei Tagen verschollen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist. Das heißt, sagte sie, er ist verschollen gewesen . Jetzt ist er wieder da. Ist wieder da und behauptet… Behauptet, die letzten drei Tage leibhaftig im Himmel gewesen zu sein. Himmel wie Himmelreich. Verstehen Sie?
    Wegen des Fußes stand er praktisch auf einem Bein da, sie musterte ihn. Ob ihm, dem Nachbarn, etwas aufgefallen sei an H.R.
    Abel dachte gewissenhaft nach und sagte: Nein.
    Ich dachte, Sie wären befreundet gewesen.
    ???
    Kommen Sie, sagte Wanda, ich möchte Ihnen etwas zeigen.
    Kein Gedanke zu widersprechen.

    Das erste Mal, dass er die Nachbarwohnung sah. Ein Bett, ein Tisch, auf dem Tisch ein Monitor.
    Das lief schon, als ich kam, sagte Wanda. Zuerst dachte ich, es wäre der Fernseher, aber es ist der Bildschirmschoner. Dahinter stecken lauter Dateien mit wissenschaftlichem Zeug, das ich nicht verstehe, sowie Bilder nackter, vollbusiger Frauen. Nun gut, daran gibt es nichts nicht zu verstehen, wenn es mich auch immer wieder überrascht, wie sehr sich der Geschmack von Bauerntölpeln und Genies, sofern es Männer sind, auf diesem Gebiet gleicht, was soll’s, das wolle sie gar nicht wissen. Sie habe nach etwas Persönlichem gesucht, mögen Sie das nun verurteilen oder nicht, kaum kommt man in die Irrenanstalt, schon wühlt einer in den persönlichen Sachen, ob vielleicht eine Erklärung, ein… Brief. Aber da ist nichts, kein Wort, nur Formeln und Fleisch und das hier. Sie schaue es sich nun seit mehreren Stunden an, in dieser Zeit habe es sich Dutzende Male wiederholt, und ebenso drehten sich ihre Gedanken im Kreis, kurz: Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe es nicht. Können Sie es mir vielleicht erklären?

    Einmal, Wochen her, musste Abel die Arbeit unterbrechen, weil etwas gegen sein Fenster geflogen war. Ein Vogel. Eine Vogelleiche auf dem Balkon. Wohin damit? Oder nur benommen. Wohin damit?
    Aber nein. Es war ein Irgendwas. Ein Flugroboter mit orangefarbenen Tischtennisbällen an den Enden von so was wie Beinen. Vorne war mit Isolierband eine kleine Kamera befestigt.
    Verzeihung, sagte Halldor Rose über die Trennwand hinweg. Abel beugte sich vor und reichte das Etwas hinüber.
    Danke, sagte H.R. Die Steuerung funktioniert nicht richtig.
    Abel schaute sich an, was vor ihnen lag, und fragte, was er denn hier damit aufnehmen wolle.
    Den wackeligen Flug Richtung Mauer, Schienen, hauptsächlich aber Himmel. Wollen Sie ihn sehen?

    Er hat Aufnahmen vom Himmel gemacht, sagte Abel zu Wanda.
    Auf den wenige Sekunden langen, in viereckige Pixel zerfallenden Aufnahmen ist der Himmel grün und die Erde orange. Ab und zu geraten die Schienen dazwischen. Die Aufnahmen sind teilweise so wackelig und zerstückelt, dass es aussieht, als würden die Waggons über den Himmel fahren. Sie hopsen zwischen den Wolken
    Da! Wanda zeigte triumphierend auf den Bildschirm. Abels Kopf und Hand blitzten für Augenblicke an der Unterkante des Bildes auf.
    Ja, sagte Abel. Das.
    Hören Sie, ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen, aber Sie müssen auch mich verstehen, ich habe unzählige harte Nächte und Tage sowie eine frische Panikattacke hinter mir, ehrlich gesagt würde ich jetzt lieber gehen und mich schlafen legen, sagen wir, für die nächsten zehn Jahre …
    Natürlich war mitnichten die Zeit dazu, so etwas zu sagen. Wanda führte das Verhör unbeirrt streng weiter:
    Und was ist das?
    Plastiksäckchen, sie hatte sie in der Küche gefunden, mit was drin? Gewürze? Samen? Sie las von kleinen weißen Aufklebern ab: Acorus, calamus, lophphora williamsii, salvia divinorum, psilocybe cyanescens, amanita muscaria, atropa belladonna. Hä?
    Ich nehme an, es sind psychoaktive Pflanzen, sagte der Befragte brav.
    Das weiß ich auch, sagte sie. Belladonna. Jeder Bauer kennt es. Von den anderen weiß ich nichts. Die Tüte mit dem mexikanischen Kaktus ist leer. Nichts, als ein bisschen Schmutz. Wenn er das alles genommen hat … Kann man davon sterben?
    Abel weiß es wirklich nicht.
    Wanda warf die Säckchen auf den Schreibtisch, kreuzte die Arme vor der Brust, sah sich in der Wohnung um: Wie könnt ihr nur so leben?
    Wie auch immer, sagte sie schließlich. Er ist nicht tot. Sondern lebt und wirkt völlig

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