Alle Tage: Roman (German Edition)
Prinzip her ist die Übung einfach, in der Ausführung um so schwieriger, wenn Sie müde werden, sagen Sie es, wobei es auch darum geht, dass Sie müde werden, wie sich die Switchfähigkeit mit wachsender Müdigkeit ändert, Sie verstehen. Er nickte. Heiterkeit im Raum. Der Zehnsprachenmann hat genickt. Studenten an Aufnahmegeräten und EEG, so geht es mehrere Stunden lang, armer Affe, von L1 zu L2 zu L3 zu L1 zu L5 zu L7 zu. Innerhalb von und zwischen Sprachfamilien, von welcher zu welcher ist es einfacher, schwieriger, wo mischen sich Wörter, welche Sprache verabschiedet sich als Erste. Nacheinander verabschieden sich alle Sprachen. Können. Wir. Aufhören. Bitte. Applaus, gratuliere, wirklich ganz, ganz, außergewöhnlich, danke, danke, danke, auf Wiedersehen, danke, soll ich Ihnen ein Taxi rufen?
Sechs Stunden Tests, anschließend zurück ins Bahnhofsviertel, eine schnelle Dusche nehmen, eventuell ein Nickerchen. Er öffnete den Briefkasten. Eine sinnlose Gewohnheit. Die offizielle Post ließ er sich zu Mercedes schicken, privat schrieb ihm außer seiner Mutter niemand, und diese schickte ihre Briefe per Land und Wasser, bis sie ankamen, hat sie das meiste schon am Telefon erzählt. Vielleicht war der Kasten auch gerade am Bersten von der Werbung der letzten Tage. Als er ihn öffnete, kam ihm alles entgegen, der ganze bunte Wust und mit ihm der zerknitterte Briefumschlag mit Miras Schrift. Er öffnete ihn mit dem kleinen Finger, während er Treppe um Treppe fünf Etagen hochging, eine kleine Ablenkung. Hinter ihm blieben kleine Papierfetzen liegen.
Ein Blatt Papier, ein Stück Zeitungsseite. Verschwunden an einem Julitag vor sieben Jahren: I. Bor, blutjunger Mediziner, im Dienste seiner Mitmenschen, unter ungeklärten Umständen, um seine unauffindbaren Knochen trauern Freunde und Familie.
Ich schätze, nun kann ich wirklich aufhören, dich zu suchen.
Dass er wohl als Nächstes zurückfahren würde, dachte Abel, als er auf der Bank vor dem Kongresszentrum saß. Sah sich noch einmal um, was gebe ich hier auf. Nichts: Fluss, Beton, Fahnen, Plakate. Bis er, jetzt!, endlich realisierte, was auf dem Plakat, auf das er die ganze Zeit gestarrt hatte, stand: Nächster Vormittag, ein Vortrag, Posttraumatische Belastungsstörungen, Referent: Dr. Elias B.R.
Er wachte auf der Bank die Nacht durch. Die Geräusche des Flusses in der Nacht. Das Klocken des Wassers an den Ufersteinen. Schiffe, möglicherweise. Etwas von der Stadt vielleicht, Lichter, Geräusche, eher fern. Das unermüdliche Plingpling der Fahnen. Später ging die Sonne auf. Natürlich. Nebel. Erste Passanten. Manche schauten vielleicht zu ihm herüber. Sitzt da wie ein Ölgötze.
Er war die ganze Zeit wach, und dann, kurz bevor es Zeit gewesen wäre, sich auf den Weg zu machen, eine Toilette suchen, sich ein wenig frisch machen, Gesicht, Hände hauptsächlich, sich erkundigen, wie komme ich zu dem und dem Vortrag: schlief er ein. Er verschlief den gesamten Vortrag. Als er aufwachte, war es schon Nachmittag. Er hatte einen Sonnenbrand und eine Erkältung. Er unternahm einen (fruchtlosen) Versuch, wach und klar zu werden, kippte dabei zur Seite um und blieb liegen in der großen Zugluft, die vom Wasser kam. Passanten kamen und gingen, er lag auf der Bank, konnte sich nicht rühren, nicht nachschauen, ob er dabei war. Das erste Mal seit meiner Kindheit, dass ich krank werde. Das erste Mal, dass Abel Nema daran dachte, dass man, er, wirklich sterben könnte. Dass das aus so einer Nähe zu erleben möglich wäre. Eventuell wünschenswert, weil am einfachsten. Liegen bleiben, bis ich austrockne wie ein zusammengerolltes Blatt und hinuntergeweht werde zwischen die Steine.
Aber nein. Nicht so billig. Das hier, verdammt noch mal, ist noch nicht einmal das Meer. Nur ein Fluss, eine Mündung. Er richtete sich auf, setzte sich hin, wie es sich gehört. Das Gesicht brannte, der Hals kratzte, er schloss die Augen. Er beschloss, gesund zu werden, und wurde innerhalb einer halben Stunde gesund. Ein wenig schwach, allerhöchstens, fühlte er sich noch. Trinken. Trinken ist immer gut. Er ging in das nächstbeste Café, es war ein Internetcafé. Er kaufte sich eine halbe Stunde und gab den Namen auf dem Plakat in die Suchmaschine ein.
Das Ergebnis lag im dreistelligen Bereich. Publikationen, Vorträge, Programmhinweise. Der Mann war seit fünf Jahren aktiv. Könnte gut in meinem Alter sein. Ist er aber nicht. Nach einpaar Versuchen fand sich eine Biographie mit Foto:
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