Alle Tage: Roman (German Edition)
alles in Ordnung bei mir, ich habe einen stabilen Brustkorb, in dem ich einen stabilen Brustton produziere: ein gesunder, zeugungsfähiger Mann. Ich erwähne das nicht, um zu prahlen. Nur weil es allerlei Gerüchte über mich sowie Zweifel an mir gibt. Ob ich bin, der ich bin, ob ich kann, was ich zu können behaupte. Behaupte ich es überhaupt selbst, oder hat es jemand über mich behauptet, und ich habe es nur nicht widerlegt? Aber wie sollte ich wen auch immer überzeugen? Wenn man der Kompetenteste in einer Sache ist, ist man ganz auf sich allein gestellt. Natürlich könnte ich den lieben Gott anrufen, dem man nachsagt, er würde alle Sprachen verstehen, was bleibt ihm auch anderes übrig. Bei ihm ist alles, Vergangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges, das ist der Grund dafür, warum er schweigt, während ich hier durch mein Nichtwissen voran getrieben werde. Oder je nach dem. Ökumenische, Korrektur: ökonomische sowie biologische Zwänge. Sagen wir, ich bin einfach überdurchschnittlich verfolgt vom Glück undoder Pech. Kann einem einzelnen Menschen soviel widerfahren? Und sei es in zehn Jahren? Manchen Menschen widerfährt gar nichts. Manche legen es genau darauf an. Ich bin nicht aus lauter Übermut Wale fangen gegangen. Auf achteinhalb Kilometern Höhe zu ersticken reizt mich nicht. In mir ist nichts vom Abenteuergeist meines Vaters, kein umtriebig fragender Geist bin ich wie mein Freund und Idol. Nicht alle sind wir dafür geschaffen. Ich hätte mein Leben lang in derselben von Kastanienbäumen gesäumten Straße leben können, ein heimlich schwuler Lehrer in der Provinz, mehr habe ich nie gewollt. Mehr als zehn Jahre hat man kaum einen Mucks von mir gehört. Ich klage und ich fordere nicht, wie es sonst die Art von Leuten in meiner Situation ist. Ich habe mich darauf verlegt zu lernen. Von der begrenzten Unveränderlichkeit einer Kindheit in den Provinzen der Diktatur in die allumfassende Vorläufigkeit der absoluten Freiheit eines Lebens ohne gültige Dokumente geraten und somit auf mich selbst und dem, was sich daraus ableiten lässt, zurückgeworfen, schien es mir der einzig gangbare Weg zu sein: sich auf nichts anderes als auf die Kultivierung und Ausweitung meines Talents zu konzentrieren und für den obskuren Rest nicht verantwortlich zu sein. Heute weiß ich nahezu alles über die Bereiche, in denen sich Sprachen berühren, und auch über die, wo sie sich niemals berühren. Etwas bleibt immer im Dunkeln. Mehr zu wissen heißt, auch mehr um die Existenz der dunklen Bereiche zu wissen. Daher die Vorsicht, sich zu äußern. Fünftausend allgemeinsprachliche Wörter pro Sprache hin oder her. Später bekam ich im Rahmen von Untersuchungen die Möglichkeit, vieles, was man als Laie wissen kann, über mein Gehirn zu erfahren. Mir standen Quellen in sämtlichen Sprachen zur Verfügung, außerdem bin ich fleißig und Hausaufgaben machen macht mir Spaß, so war es mir ein Leichtes, mein eigener Sachverständiger zu werden. Wussten Sie, dass die Schläfenlappen, wo die Sprache wohnt und nebenbei auch die Gotteserfahrungen gemacht werden, genauso aufgebaut sind wie die Gehirnregionen, die mit aggressivem Verhalten in Verbindung stehen? Oder dass die sogenannte Berserkerwut ein von halluzinogenen Pilzen ausgelöster Wahnzustand war? Ja, so ist es. Ekstatische und gewalttätige Vorstellungen gehen Hand in Hand. Zum Glück haben wir hier, auf der Vorderseite des Gehirns, auch noch eine schöne Zivilisation. Eine zehn- oder beliebigfache Sprachbarriere. Ich habe mich unter Kontrolle, das gibt’s gar nicht. Leider führt das zu einem stark asymmetrischen Linkshirn, ich kann mit links nicht einmal eine Tasse länger als einpaar Sekunden halten, eine Brötchenhälfte, andererseits bin ich sowieso Rechtshänder. Als Kind machte ich mir Gedanken um Großes wie das Weltall und die Liebe, heute denke ich praktisch über nichts mehr nach. Ich lebe wie die Amöbe, eine widerstandsfähige, ökonomische Lebensform, der Platz, den ich auf der Erde einnehme, ist nicht größer als meine Fußsohlen, der Abdruck meines Körpers auf einer Matratze, liegend, sitzend, eine Hüftbreite Metallkäfig in fünf Etagen Höhe, und ich praktiziere alle Tage den Frieden. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit schlecht bezahlter, aber anständiger Arbeit. Ich wiederhole, was mir in der einen Sprache vorgesagt wird, in einer beliebigen anderen. Dazu steckt mein Kopf meist zwischen zwei anderen Köpfen, diese Figur ist als die Straußhaltung
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