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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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aus, als hätten sie die Pocken. Schwalbennester. Ich könnte sie zerkrümeln mit einer Hand. Es sieht nicht aus, wie es aussehen müsste, dennoch weiß ich, was es ist. Gibt es das Reiterstandbild noch, die Tauben, das Theater, die markierten Wanderwege? Ja, nein, ich weiß nicht. Außer dem aussätzigen Gemäuer ist nichts zu sehen und auch nichts zu hören. Niemand außer mir ist hier.
    Doch. Du bist da. Da bist du also.
    Hast du eine Vorstellung, was ich alles durchgemacht habe, um dich zu finden? Wo habe ich dich überall, wie lange gesucht! Unter wie vielen Namen! Ich habe alles ausprobiert. Alles, wozu du hättest werden können. Priester, Arzt, der das Feindliche miteinander versöhnt, oder im Gegenteil: Feldherr. Nirgends warst du. Und jetzt. Sitzt einfach da, auf einem Kantstein, einem alten Meilenstein, einem Mülleimer aus Beton. Bist du jung, wie du damals warst oder heute wärst, oder alt, wie du noch nicht sein könntest? Ich kann es nicht sagen. Alles an dir ist perfekt. Deine Kleidung von kühler Eleganz. Dein Körper darin. Pass auf, lehn dich nicht an die Wand, dein edler Mantel wird voller Asche.
    Wie geht es dir? Mir geht es den Umständen entsprechend gut, ich klage nicht.
    Du sitzt nur da, sagst nichts. Im Traum ist mein Vater zu mir gekommen, sagte Großmutter, aber er hat nichts gesprochen. Tote in Träumen sprechen nicht. Früher hast du immer geredet. Jetzt, als wären deine Lippen nur aufgemalt. Vielleicht bist du gar nicht du, nur eine dir sehr ähnliche Puppe, scherzeshalber auf die Straße gesetzt. Eine dieser Schaufensterpuppen, die sie massenhaft aus den Läden geworfen haben, damals. Später sah man die Puppen überall wieder, in Mülltonnen, auf Balkonen, in jeder möglichen Haltung. Manchen fehlten Arme, Beine, die lebten schon ihr eigenes Leben. Hände griffen aus Kellerlöchern. Aufgespießte Köpfe statt Verkehrsschildern. Torsi trieben bäuchlings im Fluss.
    Jetzt, endlich, blinzelst du. Behutsam, uneitel wie ein Tier. Stehst auf, gehst. Ich folge dir.
    Das ist jetzt fast wie damals. Nur, dass ich nicht zu dir aufschließen kann, aber das will ich gar nicht. Besser so. Ich sehe mehr von dir als jemals. Die ganze Figur, von Kopf bis Fuß, wenn auch von hinten. Aber so ist es auch leichter. Das ist jetzt wie ein klassischer Traum. Wir gehen durch Gassen, ich weiß, es ist unsere Heimatstadt, wenn es auch nicht so aussieht. Gibt es außer uns noch Menschen? Ich sehe niemanden. Allein durch eine leere Heimat. Sie zu lieben ist unsere Pflicht. Ich sage: Zur Hölle damit! Ich fürchte mich etwas, es auszusprechen, aber es hört mich ja niemand außer dir. Dieser schöne Grusel, wenn plötzlich alle verschwunden sind. Nur du und ich.
    Das ist eine merkwürdige Rolle. Normalerweise bin nicht ich derjenige, der spricht. Obwohl ich mich sehr entwickelt habe seit damals, wenn man das auf den ersten Blick auch nicht sieht. Ich habe einiges gelesen in meiner freien Zeit, wenn es draußen kalt war. Ich könnte dir über vieles, was man eine Allgemeinbildung nennt, Auskunft geben, du müsstest mich nur fragen. Natürlich fragst du nicht. Du gehst, lässt die Kreuzungen links und rechts liegen. Hast Recht, es gibt keine Wahlmöglichkeit. Man muss den einen Weg zu Ende gehen. Ich hoffe, es gibt tatsächlich eins. Denn, ehrlich gesagt, mag ich diese langen Märsche nicht besonders. Warum nimmst du mich nicht lieber mit nach Hause? Lass uns im Schatten des Ölofens ins warme Bett schlüpfen und Raumfahrerromane lesen! Erzähle ich Blödsinn? Bin ich ein Kind? Ja und ja. Nimm mich bei dir auf!
    Ich weiß, du bist keiner, der mit sich handeln lässt. Du gehst und gehst. Das ist schon die alte Brücke über dem Fluss. Manchmal bringt er roten Sand aus den Bergen. Das habe ich ganz vergessen zu erwähnen. Unsere Stadt hat viele Brücken. Wir sind über sie hin und her gelaufen wie ein Weberschiffchen. Jetzt gibt es nur noch diese eine. Im Flussbett liegt der alte Müll. Haushaltsgeräte. Ein Synthesizer. Einige von den Puppen auch. Ölkanister, Busse. Ein Schwein. Ich verstehe nicht, wie man sich immer wieder beklagen kann, es ginge einem nicht gut genug, und dabei doch so verschwenderisch sein. Verstehst du das? - - -
    Aus der Nähe betrachtet, sind deine Bewegungen etwas steif. Hängt das mit deiner Vergangenheit als Schaufensterpuppe zusammen oder warst du immer schon so? Du hattest ein schwaches Herz, warst vom Sport befreit. Bei mir zeigen die Apparate, selbst wenn ich im Sterben liege, noch

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