Alle Tage: Roman (German Edition)
horchte, weil er nichts anderes konnte, wie sein Herz, Herz, Herz pochte. Von meinem Gekeuch erzittert die Welt.
Alles in Ordnung? rief Mira draußen vor dem Schrank.
Er hielt die Luft an, das war ohnehin einfacher. Leider verstärkte sich dadurch das Brennen am Brustbein. Konzentriere dich auf was anderes, auf die Geräusche draußen: Radio, Geschirr, eine ferne, biblische Litanei. Großmutter ist offenbar in der Küche, also ist es Morgen. Oder schon wieder Abend.
Abel? Mira musste jetzt ganz dicht vor dem Schrank stehen.
Gleich ist’s besser, gleich ist’s, gleich …
Vielleicht hat er nur im Schlaf …, sagte Mira, bereits im Weggehen. Mit dem Arm gegen die Wand. Langsam wird er wirklich zu groß dafür.
Er blieb liegen, Gesicht, Schweiß, Staub, wartete, bis das Schlimmste vorbei war, schlich sich dann, in einem unbeobachteten Moment , ins Bad, zum Spiegel. Er hatte sich das Jochbein geprellt – beim Sturz von der zehn Zentimeter hohen Matratze auf den Schrankboden (!) –, ein kleiner roter Fleck nur, aber deutlich zu sehen.
Und was ist das?
Als er wieder aus dem Bad kam, stand Mira im Schrank, den Anzug in der Hand. Besudelt von oben bis unten. Was ist das? Erde? Und: Jesus – jetzt sah sie sein Gesicht –, wie siehst du aus?
Was hast du getan?
Die ganze Nacht Randale in der Stadt gemacht. Gesoffen, sich geprügelt, Flaschen zerschmissen. (Großmutter) Konnte nicht schlafen, musste zuhören.
Schaufenster, sagte Vesna, Tante Vesna, beste Freundin der Mutter. – Eine Lesbierin! (Oma) – Kluge Augen, eine große Nase in einem bräunlichen Gesicht, die Stimme tief und rauh: Sie haben Schaufenster eingeschmissen.
Wer hat Schaufenster eingeschmissen? (Mira.)
Es ändert sich nichts, murmelte Großmutter. Sie werden nur immer gröber. Gottlos, roh, verdorben.
Wer? fragte Mira.
Warum sollten die Abiturienten so etwas tun? fragte Vesna.
Es gibt nicht immer ein Warum, sagte Großmutter.
Vesna lachte: Das ist allerdings wahr.
Das Leben ist so leicht ruiniert, sagte Mira.
Sie redete an die Adresse ihres Sohnes, dem mit dem Veilchen im Gesicht. Zumindest nahm sie an, dass der Fleck noch da war, denn meinen einzigen Sohn anzusehen wagte sie schon seit Stunden nicht. Ich weiß nicht, irgendwas ist anders. Sprichwörtlich über Nacht.
Abel seinerseits sah auch niemanden an. Sie saßen in einem Restaurant, Sonntagmittag, wie sonst auch zu besonderen Anlässen, die drei Parzen und ich.
Einfach immer gröber, murmelte Großmutter. Ich verstehe nicht, wie man an so was Spaß haben kann.
Später betraten zwei Polizisten das Restaurant, hielten sich lange in der Nähe des Eingangs auf, redeten mit dem Oberkellner, schauten herein. Abel schaute hinaus zu ihnen, aber sie waren nicht interessiert. Sie gingen wieder.
Später, im Laufe des Essens, sickerte, als würden es die diskreten Kellner auf ihren Tabletts durch die Räume tragen, das Gerücht durch, gestern Nacht sei tatsächlich die halbe Einkaufsstraße zertrümmert worden (Geh um Gotteswillen nicht hin! Am Ende verhaften sie dich noch. Abgesehen davon ist so was keine Touristenattraktion), aber die Abiturienten waren es nicht, oder nicht nur, nicht von vornherein. Als sie aus dem Untergrund herausgetaumelt kamen, war es längst schon im Gange, und sie waren so hinüber, kapierten gar nicht, worum’s ging, lachten nur hysterisch und trampelten in den Scherben herum, in ihren Augen spiegelte sich das knisternde Feuer in einem Verkaufsraum, aber das ging später aus, der Plastikboden brannte schlecht, es stank nur fürchterlich, und angeblich hat jemand unterschrieben, so und soviel Sprengpulver und Detonatoren entgegengenommen zu haben.
Was denn noch? fragte Mira. Und: Könnten wir vielleicht über etwas anderes reden?
Zum Dessert tranken die Frauen Likör, Abel sollte auch kosten, er nahm das Gläschen und kippte alles auf einmal hinunter, es war süß, egal. Mira lächelte schüchtern, Großmutter schnalzte mit der Zunge, Vesna lachte anerkennend und kippte auch. Ts, ts, sagte Großmutter.
Mira öffnete ihre Handtasche, in der ein Umschlag mit frisch geholtem Geld für das Essen steckte und einer, den sie Abel gab.
Danke, sagte Abel.
Ich würd’s erst aufmachen, sagte Tante Vesna.
Es war ein Autolotterieschein für die niedrigere Klasse.
Oh, sagte Abel, der keinen Führerschein hatte, danke.
Er steckte den Lotterieschein ins Kuvert zurück, legte das Kuvert neben seinen Teller, nahm die kleine Gabel und aß weiter sein Dessert.
Tut mir
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