Alle Tage: Roman (German Edition)
wohnte.
Die Sonne schien durch das Grün der Scheiben, Abel saß da, bei Semmeln, Butter, Kaffee, was geht in seinem Kopf vor, hört er überhaupt zu?
Ursprünglich, sagte er schließlich, zu Hause hätte er Lehramt studiert.
Was?
Geographie und Geschichte ohne besonderes Interesse. Aber das kam nicht mehr in Frage. Ich könnte alles und nichts zum Ersten Weltkrieg sagen. Die Rohstoffvorkommen. Vielleicht lieber etwas mit Sprachen.
Aha. Was können Sie?
Die Semmel in der Hand des Jungen erzitterte, er legte sie hin, es hatte sowieso alles keinen Wert. Er dachte nach. Er dachte: Semmel, zsemle, roll, petit pain, bulotschka. Dachte vaj, Butter, butter, maslo, beurre. Dachte …
Was das mit dieser neuen Fähigkeit war, war noch nicht genau zu wissen. Etwas kulminierte, Worte, Fälle, Syntagmen, aber es ging häufig zwischen den Sprachen hin und her, ich fange russisch an und ende französisch. Das ist noch gar nichts, das wurde ihm jetzt klar, er konnte nichts beweisen oder vorführen, ein großes Durcheinander, das war alles. Und dann sagte er:
Die Muttersprache, die Vatersprache sowie drei internationale Konferenzsprachen.
Also, sagte Tibor. Das ist doch schon was.
Löffel, kanál, spoon. Ich habe keine Sätze, nur Worte. Alle Sätze waren bei ihm , ich war nur das Publikum und heute bin ich …
Wie heißen Sie noch mal?
Ilia.
Und weiter?
Bor. Nein. Warum nicht? Sich als ihn ausgeben. Ein Unbekannter statt eines anderen Unbekannten. Und dann? - - - Nein, sagte er, nicht, Entschuldigung, ich war in… Abel. Abel Nema.
Und? Sind Sie denn auch wütend, Abel Nema?
Pause. Der Alte hörte nicht auf zu lächeln. Der Junge saß nur da. Irgendwo summte eine Fliege.
Doch keine Fliege, die Hausklingel. Jemand Neues ist gekommen, Stimmen im Flur, auf die Tür zu.
Darf ich?
Mädchen oder kleine Frau, große schwarze Augen, kurzes, schwarzes Haar, aufschimmerndes Bärtlein.
Mercedes. Kommen Sie ruhig. Meine Assistentin Mercedes.
Abel Nema. Noch ohne Funktion. Seine Finger waren buttrig, es gab nichts, woran er sie hätte abwischen können. Stand unbeholfen da.
Sie sah ihn an. Ihre Augen, als wären sie verweint, aber das sind sie nicht. Es sind einfach solche Augen. Sie sind beide sehr jung in diesem Moment, sie sechsundzwanzig, er neunzehn. Es ist sein erster Tag, sie eine seiner ersten Personen hier. Für sie gab es keinen Grund, solche Rechnungen aufzustellen, sie lächelte höflich, desinteressiert.
Wissen Sie was, sagte Tibor. Kommen Sie doch morgen an die Fakultät. Dann bin ich da, und wir besprechen alles Weitere.
Mercedes trat aus dem Weg, damit er an ihr vorbei kam.
Auf Wiedersehen.
Die andere Frau, Anna, war nicht mehr zu sehen. Rauschte irgendwo Wasser? Abel las sein Gepäck im Flur auf und ging.
Da sind wir also wieder. Zwischen jetzt und morgen liegt eine unbekannte Stadt. Das zweite Mal fahren wir S-Bahn wie alte Bekannte. Hier wären einpaar Stationsnamen schön, respektive, wenn die Bahn gerade obererdig fährt, der eine oder andere Straßenname. Reklamen, allgegenwärtige Versprechungen. Christus ist mit dir! Besuchen Sie unsere Sprachkurse! Anwälte und Zahnkorrekturen helfen Ihnen bei Ihren Problemen! Der nächste Winter kommt bestimmt! Verreisen Sie, bevor es zu spät ist! Später. Später vielleicht werde ich verreisen. Im Moment ist er gerade erst angekommen, ein junger Mensch mit einem Rucksack, was mag in seinem Kopf vorgehen. Eine ältere Frau mit einem sehr breiten, gefärbten Mund sah ihn interessiert an.
Er dachte: Esszettbeekaefhaajoto . Esszettbeekaefhaajoto. Oder: Wie Abel Nema sich ein für alle Mal die rote Schnellbahnstrecke merkte, wie er sich in Zukunft jede Strecke, gefahren, gelaufen, egal, merken würde, anhand der Anfangsbuchstaben der jeweiligen Straße oder der Station, wenig touristisch, dafür praktisch: der Code, mit dessen Hilfe ich diese Stadt entziffern werde. Mit der Zeit hat man dann genug Kapazitäten frei, bewusst zu betrachten: Straßen, Läden, Autos, wie sind die Busse hier, wie klingt die Rettungssirene, was läuft im Kino, Stadien, Einkaufszentren, Märkte, Ramsch und Gemüse und natürlich Menschen, Leute und über allem die Wolken des Kohlenrauchs, über manchen Stadtteilen mehr, über anderen weniger, und dazwischen, natürlich, auch hier: Kondensstreifen. Aus der Nähe betrachtet sind sie übrigens nicht weiß, sondern schwarz. Wer hat mir das (wann) erzählt?
Später sprach ihn ein Mann an, fragte ihn nach seiner Fahrkarte. Abel tat so,
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