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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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dazu! Einen Augenblick später saß er auf der Parkbank in der Nähe der thailändischen Wäscherei, die Türklingel jodelte, neben ihm saß mit herunterhängendem Kopf und schlief: der (beinahe) geschiedene Übersetzer Abel Nema. Konstantin Tóti wartete, bis er aufwachte, und sagte:
    Soso. Du bist also auch noch hier.

Speisung II. Tibor
    Er hatte nur diesen Namen auf dem Zettel. Stand auf einem rauhen, schmutzfarbenen Bahnsteig, früher Morgen, Abel Nema, neunzehn Jahre, gerade angekommen, hier , und hielt einen Zettel mit einem unbekannten Namen in der Hand. Der Zettel war durch Zeit und Strecke zerknittert, die Handschrift kaum zu entziffern, zum einen, weil sie schon begonnen hatte, sich im Untergrund aufzulösen, und zum anderen, weil sie einfach anders geworden war.
    Zuerst sah es so aus, als würde er gar nicht mehr aufwachen, schlief volle drei Tage durch, und als er dann endlich wieder zu sich gekommen war, gab es allerlei Symptome. Es fing damit an, dass er sich auf dem Weg von der Toilette zurück in das Krankenzimmer verlief und – wie lange? – in den Krankenhausfluren herumirrte, bis Bora ihn fand. Armer Junge. Ganz durcheinander. Dazu kam, dass er, seitdem er wieder wach war, kaum mehr schlief, ein-zwei Stunden am Tag, aber vielleicht hatte er davor nur einfach zuviel geschlafen. Ein weiteres Symptom war, ist, dass er den Zettel ruhig hätte wegwerfen können oder sich erst gar nichts aufschreiben brauchen, er hatte sich den Namen sofort gemerkt und wusste auch, dass er ihn nicht mehr vergessen würde, weil er ab jetzt nichts, was Sprache und memorisierbar ist, jemals wieder vergessen würde. Dennoch brachte er es nicht fertig, den Zettel wegzuwerfen. Die neue Konstellation, die in seinem Gehirn und die der Dinge um ihn herum, schien noch zu zart zu sein. Als würde, sobald auch nur irgend etwas, und sei es das kleinste Stück aus diesem neuen Gefüge, entfernt würde, etwas abreißen, das nicht abreißen durfte, das gerade erst begonnen hatte, war es gut, war es schlecht, wer weiß, es war das, was möglich war.
    Stand auf dem Bahnsteig, eine ähnliche Jahreszeit, ein ähnliches Wetter wie jetzt, der erste kalte, nach Asche riechende Wind aus dem Osten kündigte den Herbst an. Jenseits des Perrons ein Ausschnitt der Stadt: von Drähten durchzogener Himmel, einige Hochhäuser, darunter eins, in dem er die nächsten vier Jahre wohnen wird, dort, in der zehnten Etage, aber das wusste er jetzt natürlich noch nicht. Der Bahnhof war damals noch weniger Einkaufserlebnis als Verladestation: wenig aufschneiderisches Grau und Schmutzgeruch. Passend dazu sah er keine Treppen, die vom Bahnsteig hinunter führten, nur eine Rampe, eine gigantische, gerillte Rampe, für viel mehr gemacht als nur für diese paar Menschen, die am frühen Morgen unterwegs waren. Rinderherden in Texas. Er ging hinunter.
    Im Untergrund folgte er den Zeichen durch die üblichen Bahnhofsechos und -beleuchtungen. Links und rechts Zahlen und Treppen, später ein Spalier eierschalenfarbener Schließfächer, Toiletten, Telefone. Schließlich kam er zu einer kleinen Post. Er bat um ein Telefonbuch.
    Der Name mit einer Nummer. Aufschreiben oder nicht?
    Entschuldigen Sie bitte, wie kann ich telefonieren?
    Gleich an seinem ersten Tag, in der ersten Stunde, schenkte ihm ein zur Trunksucht und Streitlust neigender mürrischer Jemand im Vorbeigehen zwei Münzen. Abel sagte höflich danke zum verwucherten Wohltäternacken, aber der war schon längst weiter. Da hast du deine gute Tat.
    Anschließend entschuldigte er sich noch einmal. Man habe ihm diesen Namen gegeben. Er sei aus S.
    Aha, sagte die Stimme im Telefon. Schleppend, fern. Aus dem Schlaf gerissen? Wie spät ist es eigentlich? Früh.
    Sie sind gerade angekommen?
    Ja.
    Wo?
    Auf dem Bahnhof.
    Verstehe.

    Sie nehmen die Metro, fahren zu der und der Station, dann rechts, links, etcetera. Schon während er der Wegbeschreibung am Telefon lauschte, begriff Abel nichts, und sobald er aufgelegt hatte, waren auch die zufälligen Brocken, die es ihm gelungen war, für Augenblicke festzuhalten, verloren gegangen. Diese Stadt hat eines der übersichtlichsten öffentlichen Verkehrsnetze überhaupt. Abel starrte auf die Netzspinne, starrte drauf. Inzwischen hatten sich Rampen und Treppen gefüllt, mit einem Mal war es so laut geworden wie vorher vielleicht noch nie – Die aus stillen Provinzen kommen –, und es waren so viele unterwegs, dass man kaum treten konnte. Verzeihung, stammelte er.

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