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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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Weise eine Fähigkeit ver- oder geliehen worden, aber, davon abgesehen, musste gearbeitet werden. Zu Beginn gibt es die Mathematik, das Spinnennetz der Konstruktion. Wie das aufklappbare Märchenschloss ersteht aus zwei Buchseiten ein gläserner Wald auf. Jeder seiner Bäume ist ein Satz, die Äste schließen mit dem Stamm den und den Winkel ein, ebenso die kleineren Äste mit den größeren, an den Enden blinken zarte Syntagmen. Die Natur baut alles nach einem Muster. Hier kommt einem das Wissen um Fraktale zugute. Oder der simple und universelle Sprachinstinkt. Der Wald steht für sich allein, in tödlicher Schärfe und Schönheit, aber stumm. Anfangs war Abels mathematischer Verstand noch nicht hinreichend mit seiner Zunge verknüpft, das heißt: er verstand alles und konnte nichts sagen, wäre kaum in der Lage gewesen, einen einzigen Beweis seiner Fähigkeiten zu liefern oder, profaner, auch nur eine einzige Prüfung abzulegen, die man jedoch braucht, wenn man seine Papiere behalten will. Das geheime Genie. Verstehe, sagte Tibor, der eigentlich gar nicht da war, er hatte sich ein Jahr freigenommen, um ein Buch zu schreiben, aber um seinen Namen in seiner schönen, kalligraphischen Schrift auf ein weiteres Blatt mit Kopfbogen zu malen, reichte es noch. Sollten Sie dennoch Probleme bekommen, wenden Sie sich an meine Assistentin. Sie erinnern sich doch noch an Mercedes? Er erinnerte sich, aber das spielte jetzt, hier, keine Rolle. Den Schlüssel zum Sprachlabor bekam er auch so.
    Das macht die ganze Sache noch ein Stück unglaublicher, um nicht zu sagen unheimlich, sagte man in den Fremdsprachigen Philologien. Er lernt Ton um Ton, analysiert Frequenzzeichnungen, wühlt sich durch die Codes der Lautschrift und färbt sich die Zunge schwarz, um die Abdrücke zu vergleichen. Auf die Dauer schmeckt das wie Strafe. Als hätte man Tinte oder Waschpulver gegessen. Da wird einem die Bezeichnung Labor erst so richtig vor Augen geführt, Technik ist primär, Mensch ist sekundär. Als züchtete er des Nachts dort seinen Homunculus, nur dass dieser hier ganz aus Sprache besteht, der perfekte Klon einer Sprache zwischen Glottis und Labia. Ist das ein Leben für einen Menschen?
    Aber was ist das schon, fragte Konstantin Pal, der gerade auf der Piazza vorbeikam. Pal sah zurück und ging weiter, schloss die Zimmertür hinter sich. Der ist auch so ein Kandidat. Die ganze Nacht glimmt blaues Licht unter seiner Tür, er nimmt den Blick nicht vom Computerbildschirm (resp. den Bildschirm en ; er hat drei), den Vormittag verschläft er, am Nachmittag besucht er mutmaßlich einige Lehrveranstaltungen, kommt am Abend nach Hause zurück, und dann geht es von vorne los. Ich teile meine Bleibe mit dem langweiligsten und dem gelangweiltesten Menschen der Welt. Ohne das feste Korsett ihrer Rituale wären sie vermutlich nicht einmal in der Lage, das Minimum eines Anscheins von Menschlichkeit zu produzieren, sagte Konstantin zur Fensterscheibe, in die er immer sprach, wenn er keinen direkten Ansprechpartner hatte. Stand am nicht zu öffnenden Fenster, Gesicht zur Bahn, und lamentierte (Kursive: Pal) stunden lang – über einfach alles. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Dieses Jahrhundert, das uns hierher getragen hat ! Sein Atem bildete einen kleinen Nebelkreis an der Fensterscheibe, dort sprach er hinein, sein Mikrophon. Sie hören Radio Konstantin. Politik, Panorama, Wetterbericht. Fünftausend Jahre alten Menschen gefunden, der Schiefe Turm von P. wird immer schiefer, das größte Lebewesen der Welt ist ein 100 Tonnen schwerer Pilz, Waffenstillstand erklärt, Republik gegründet, Barrikaden errichtet, den Priester und den Fahnenträger während einer Hochzeit ermordet, Stern entdeckt, als unabhängiger Staat anerkannt (Gratuliere!), als Geisel genommen, Brücke gesprengt, 427 Jahre Geschichte, verschwunden in den eiskalten, türkisgrünen Fluten der … Pals Zimmertür ging auf: Könntest du vielleicht mal für eine Minute die Klappe halten, danke! und schmiss die Tür wieder zu. Plastikmonster, murmelte K.

    Er tut so etwas nicht. Er ist höflich und still, seine Schritte auf dem Linoleum kaum zu hören, in seinem Gesicht weder Trauer noch Ärger noch Zustimmung. Das nehme ich dir nicht ab, sagte Konstantin. Wie bringst du es fertig, überhaupt keine Nachrichten zu hören und auch mich nicht zu bitten, sie stündlich zu aktualisieren? Es kann dich nicht nicht interessieren, was in der Fremde und zu Hause los ist. Hast du etwa nicht deine

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