Alle Tage: Roman (German Edition)
kleine Familie, sagte die Händlerin. Hoppla, dachte Konstantin.
Eka heiraten, Ekas Kind großziehen, einen Sohn haben, alles für sie tun, Ekas Essen essen, Eka trösten … Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich habe einiges gesehen von der Welt, wenn auch nur indirekt, Medien und persönliche Berichte, wie auch immer, ich bin bereit, eine Familie zu gründen. Wie es scheint, hat sie auch aufgehört zu klauen, zwei Geschenke lagen noch eingepackt unter dem Sofa, eins für Vachtang und eins für Abel, sie hatte noch keine Gelegenheit, es ihm zu geben. Konstantin hätte gerne gewusst, was Eka von Abel hielt, aber sie verstand die Frage nicht. Ich kann mir nicht helfen, sagte Konstantin, während sie durch den Park spazierten, aber mir ist dieser Gedanke gekommen: Es fehlt ihm an nichts, außer an … Er kannte das Wort nicht, er bildete es neu: Menschheit . Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ein Mensch ohne Menschheit, verstehst du? Eka verstand weder das noch das, was er eigentlich hätte sagen wollen, sie lächelte nur und spazierte.
In der Nacht darauf hob Abel nach knapp einer Dreiviertelstunde, also kaum, dass er mit der Arbeit im Labor angefangen hatte, den Kopf. Er dachte: sieben plus drei macht zehn. Sieben plus drei macht zehn. Sieben plus drei, nacheinander in sämtlichen seiner Sprachen, und wieder von vorn. Zehn. Er streifte die Kopfhörer ab und stand auf. Es war ihm schwindlig. Er ging taumelnd über den Flur. Wo er entlang kam, gingen blinkend Lichter vor ihm an. Er zuckte jedes Mal zusammen, als wäre das nicht zu erwarten gewesen, als wäre es nicht immer so. Er fasste geblendet nach der Wand, tastete sich bis zur Toilette vor. Hier gab es keinen Bewegungsmelder, er suchte auch nicht nach dem Lichtschalter. Er ließ die Tür hinter sich zufallen, drückte Stirn und Handflächen gegen die kalten Fliesen, blieb so stehen im Dunkeln. Er stand nah an der Tür, wäre jemand gekommen, hätte er ihn vielleicht gar nicht bemerkt. Eine Person hinter der geöffneten Tür. Wie lange stand er so da, kein Zeitgefühl. Irgendwann ließen Herzrasen, Übelkeit, Schwitzen und Lichtempfindlichkeit nach, die zehnte Sprache war fertig, noch eine mehr und ich muss kotzen. Er wusch sich Gesicht und Hände und ging.
Er fuhr nicht in der aufgehenden Sonne zwischen dösenden Arbeitern mit der ersten Bahn, diesmal ging er zu Fuß, immer an den Bahnschienen entlang, auch so kam er Stunden eher als sonst zu Hause an. Auf der Piazza war es stockfinster, es roch nach parfümiertem Rauch. Wahrscheinlich hatten sie wieder gekocht, Kerzen angezündet. Abel, dem mit dem Geschmacks- auch ein Großteil des Geruchssinns abhanden gekommen war, bekam nur eine ferne Ahnung davon. Um den Säugling nicht zu wecken, machte er kein Licht. Wie er später nicht aussagte, stieß er beim Überqueren der Piazza mit dem Schienbein gegen das ausgezogene Schlafsofa. Im Dunkeln geriet etwas in Bewegung, Körper in plötzlichem Aufruhr, dann Eka, als hätte sie etwas geflüstert, dann war es wieder still.
Später schaltete jemand mit einem lauten Klack das Licht in seinem Zimmer an und riss die Vorhänge auf. Dahinter war es dunkel, immer noch oder schon wieder. Der ledrige Geruch einer Uniform erfüllte das Zimmer, so durchdringend, dass selbst er es riechen konnte.
Sie zwangen uns, uns auf den Boden zu legen, Nase im Dreck, Männer, Frauen, Kinder, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Sie stiegen über uns, warfen unsere Sachen durcheinander. Sie zerrten uns am Arm hoch, wir standen da in unseren Pyjamas, sie nahmen uns mit, wie wir waren, oder steckten uns in irgendwelche Klamotten, duckten unseren Kopf hinunter ins Auto. Sie sagten nicht, wohin sie uns fuhren, unsere Augen waren verbunden, sie fuhren hin und her, damit wir die Orientierung verloren, sie ließen uns in den Sand knien mit dem Gesicht zur Wüste und taten so, als würden sie uns hinrichten. Anschließend setzten sie uns in unserer durchnässten Unterwäsche aus - - -
Ganz so nicht, aber man brachte alle, die in der Wohnung waren: Konstantin, Abel, Eka, das Baby und einen Mann, den Abel noch nie gesehen hatte, in ein Polizeirevier. Genauer gesagt, sah er nur Eka und den Unbekannten für einen kurzen Augenblick, beide vom Kopf abwärts, sein Blickwinkel war so. Von Konstantin und dem Baby hörte er nur die Stimmen, sich auf verschiedene Art gegen die Behandlung verwahrend, bevor sie in einem anderen Auto verschwanden. Für Jahre war das das Letzte, was Abel Nema von
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