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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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erst durch den Landestoß geweckt. Ich wusste nicht, wo ich war. In Frankfurt? Schon in New York? Gähnend lief ich durch die Gänge und fuhr wie ein ein Meter neunzig hoher Koffer auf langen Fließbändern durch endlose Leuchtreklamealleen zu meinem Abfluggate nach Chicago. Wieder musste ich durch eine Sicherheitskontrolle. Eine freundliche Frau, die offenbar einen Kängurufimmel hatte, tastete mich ab. Känguruohrringe, silberne Halskette, daran ein Känguruanhänger mit Babykänguru im Bauch, unter der geöffneten Dienstuniform sah ich ein grinsendes Känguru mit gelben Zähnen. Sie bat mich, meine Schuhe auszuziehen. Da es in Deutschland geregnet und ich von Hazel am Telefon erfahren hatte, dass es in Laramie wieder geschneit hatte, trug ich meine neuen Wanderschuhe. Die Frau griff in den Schuh, drehte ihn um und besah sich den Absatz. Sie nahm sich den anderen Schuh. Gleiche Prozedur. Da huschte ein fragender Ekel über ihr Gesicht. Sie rief einen Kollegen und zeigte ihm meine Wanderschuhe von unten. Sie sprachen miteinander und er nickte. Die Frau kam zu mir. »Sorry Sir, would you please be so kind and follow me.« Ich lief hinter ihr her. Nur auf Strümpfen, das war unangenehm. Wir begegneten einem älteren Herrn in einem wundervollen Tweedanzug. Er sah auf meine Füße und schüttelte den Kopf. Die Frau brachte mich in einen kleinen Raum: »Would you like something to drink?« »Oh yes, some coffee would be great!« Sie verschwand, kam kurz darauf mit einem heißen Kaffee zurück. Vorsichtig überreichte sie mir den Becher. Dann verließ sie den Raum, zog die Tür zu, und ich hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
    Ich stand auf und drückte die Klinke. Abgesperrt. Ich stand an der Tür und nippte an meinem Kaffee. Er tat mir gut. Mein Gott, dachte ich, wie habe ich diesen dünnen Wasserkaffee, diese Plörre vermisst. Nach einer Viertelstunde klopfte ich an die Tür, da ich wegen meines Anschlussflugs nach Chicago unruhig wurde. Erst klopfte ich vorsichtig, mit den Fingerknöcheln. Niemand kam. Ich schlug mit der flachen Hand gegen die massive Tür. Dann mit der Faust. Nichts. Es dauerte bestimmt eine Dreiviertelstunde, bis sich der Schlüssel im Schloss herumdrehte und zwei Männer in Uniform und ein Mann im Anzug mit Krawatte den Raum betraten. Der Mann im Anzug brachte seinen eigenen Stuhl mit. Einer der Uniformierten stellte sich vor die geschlossene Tür. Es waren keine Polizisten, aber ihre Uniformen waren auch nicht die des Sicherheitspersonals. Erst jetzt sah ich, dass sie Waffen trugen. Der Mann im Anzug hatte sich auf seinen mitgebrachten Stuhl gesetzt, einen Stift gezückt – es war ein sehr edel aussehender Füllfederhalter mit eingravierten Initialen – und mich kurz gemustert. Er verlas meinen Namen. Ich nickte. Mein Geburtsdatum. Ich nickte. Das Ziel meiner Reise. »Laramie, Wyoming?« Ich nickte und sagte leiser, als ich wollte: »Yes.« Er füllte ein paar Spalten mit kryptischen Zahlen aus, hob den Kopf: »Do you speak English?« »Yes.« »Okay, Sir. Please follow me!« Mit einem Taschentuch, das er plötzlich in seiner Hand hielt, wischte er die Feder des Füllers sauber und schraubte die Kappe auf. Der eine Uniformierte öffnete die Tür. Wir verließen den Raum. Der Anzug des Mannes, der vor mir ging, war perfekt geschnitten. Knapp hinter mir folgten, einer rechts, einer links, die beiden Aufpasser. Ich sprach zum fein säuberlich ausrasierten Nacken des Mannes: »Sorry, but I have not so much time. I have to go to the gate for my flight to Chicago.« Ohne sich umzudrehen, hob er kurz die Hand und bedeutete mir, ihm einfach weiter zu folgen. Wir kamen an Reisenden vorbei, die mich anstarrten. Ein Kind, das es sich auf einem Kofferwagen gemütlich gemacht hatte, zeigte mit dem Finger auf meine Socken: »He lost his shoes, Mom! He lost his shoes.« Durch eine bewachte Schwingtür betraten wir einen Gang. Männer mit aufgekrempelten Hemdsärmeln standen um einen Aschenbecher herum und rauchten. Einer von ihnen grüßte den Mann im Anzug, schob kurz sein Kinn vor. Wieder wurde ich in einen fensterlosen Raum gebracht. »We need your clothes. Please take off your clothes.« Einer der Uniformierten zog sich Einweghandschuhe an. »Why?« »Please, Sir, take off all your clothes!« Ich begann mich auszuziehen. Jedes meiner Kleidungsstücke wurde in einen Plastiksack gestopft und mit einer Banderole verklebt. Ich suchte nach den richtigen Ausdrücken und versuchte es mit: »Please,

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