Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
waren, daß sie keine Weihnachtsgeschenke kaufen konnten. Da brachte auch der Weihnachtsmann keine. Die Eltern suchten alles ab, das Haus, die Stadt, den Wald, aber das Mädchen war weg, und an Heiligabend saßen die Eltern im Wohnzimmer am Tisch und weinten und hielten sich unterm Tisch an den Händen, und ich mußte mir schnell was anderes vorstellen, sonst hätte ich selbst angefangen zu weinen.
Dann kam das Mädchen aber doch noch zurück, und alle waren wieder fröhlich, auch ohne Geschenke.
Vom Himmel hoch, da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär. Mär sei ein anderes Wort für Botschaft, sagte Frau Kahlfuß, so wie Heiland ein anderes Wort für Jesus sei.
Wir sangen auch ein trauriges Weihnachtslied, in dem jemand darum bettelte, ins Haus gelassen zu werden, um nicht zu erfrieren.
Schneeflöckchen, Weißröckchen, da kommst du geschneit!
Für Mama und Papa schrieb ich als Weihnachtsgeschenk ein Lied ab: Laßt uns froh und munter sein und uns recht von Herzen freun! Lustig, lustig, trallerallera, bald ist Nikolausabend da!
Als ich fast fertig war, riß das Blatt ein, und Renate flickte den Riß mit Tesafilm.
Im Kinderzimmer übten wir für Mama und Papa ein Krippenspiel ein. Renate war Maria und Volker Josef. Wiebke und ich sollten Hirten sein. Als Christkind lag die Puppe Annemarie auf Kissen in der Krippe, die Renate aus zwei Kinderstühlchen gebaut hatte. Ochs und Esel hatte sie auf Papier gemalt und mit Stecknadeln an der Gardine festgemacht.
Wir sollten vor der Krippe knien und beten. Ich hatte als Hirte einen Cowboyhut auf. Wiebke trug auch einen, der aber umgekrempelt war. Für sich selbst hatte Renate einen Umhang ausgesucht. Volker kriegte eine Sofadecke als Mantel und eine von Renate gebastelte Perücke aus weißer Watte. Wiebke wollte, daß neben Annemarie ein Mainzelmännchen in der Krippe liegt, obwohl im Stall in Betlehem bestimmt keins dringelegen hatte.
Als wir zum letzten Mal übten, hatte Renate auf dem Schrank auch Kerzen aufgestellt und angezündet. Wir sollten erst das Jesuskind begrüßen, dann Ochs und Esel an der Gardine füttern und dann zusammen beten. Als wir uns zur Gardine umdrehten, kam Volker mit der Perücke ans Kerzenfeuer, und die Perücke fing an zu brennen.
Das Feuer kriegten wir nicht aus. Renate lief aus dem Zimmer und schrie: »Das ganze Haus brennt ab!«
»Ach du Scheiße«, rief Papa, der in der Badewanne lag, und man hörte das Wasser klatschen und schwappen. Von unten kam Mama die Treppe raufgelaufen.
Mama und Papa machten das Feuer mit Tüchern und Wasser aus. Unter der Perücke waren Volkers Haare angesengt und stanken. Renate ärgerte sich, weil die Perücke kaputt war, aber Mama sagte, das sei doch wurscht. Sie holte neue Watte aus dem Elternschlafzimmer und packte Volker was davon auf den Kopf, und Renate heulte, weil die neue Perücke viel schlechter war als die alte.
Ich wollte nur wissen, ob Mama und Papa was gesehen hätten von der Krippe und von Ochs und Esel. Dann wäre das Krippenspiel ja keine Überraschung mehr gewesen. Mama sagte, nein, sie hätten nichts gesehen.
Renate wollte nicht mehr, weil sie Volkers neue Perücke so blöd fand, und da wurde Mama böse. »Los jetzt!« rief sie, und dann führten wir das Krippenspiel eben auf.
Vor der Bescherung gab es Würstchen mit Senf und Kartoffelsalat. »Nachher schlagt ihr euch den Bauch ja doch mit Süßigkeiten voll«, sagte Mama.
Ich kriegte ein Wildwestfort mit Cowboys, eine rote Cowboyweste, eine neue Pistole und von Tante Therese aus England ein Auto. Volker hatte aus England auch ein Auto gekriegt, Mama Seife und Wiebke ein Kleid, weil Tante Therese Wiebkes Patentante war.
Meistens bekam man als Junge bessere Geschenke als als Mädchen. Volker und ich kriegten neue Schlitten und Volker sogar einen Fotoapparat, aber Wiebke nur ein Spielzeugtelefon und Renate Strumpfhosen im Häkellook, kniehohe Lederstiefel und Briefpapier.
Wir hatten aber auch Bücher gekriegt: Das Geheimnis der orangefarbenen Katze, Künstler Mäxchen, Herders buntes Bilderlexikon und Käuze, Schelme, Narren, mit Geschichten über die Schildbürger, die immer alles falsch machten.
Nach Weihnachten fuhren Mama und Papa zum Klassentreffen nach Jever. Volker fuhr mit. Renate blieb mit Wiebke und mir auf der Horchheimer Höhe und sollte auf uns aufpassen.
In dem großen Dampfkochtopf mit dem roten Deckel, aus dem oben ein zischender Stift rauskam, wenn das Essen gar war, kochte Renate uns Gulasch mit
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