Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Kreissparkasse nach links in die Obergerichtsstraße und von da in die Burgstraße abbiegen. In diesen schmalen Nebenstraßen herrschte morgens jetzt ein teuflischer Betrieb, weil sich da sämtliche Verkehrsteilnehmer hindurchquälen mußten.
Es dauerte, bis ich mir meinen neuen Stundenplan zusammengefrickelt und einen halbwegs genauen Überblick über die verschiedenen Unterrichtsräume gewonnen hatte. Ein Kurs, den ich als Alternative zu Religion belegt hatte, trug den Namen Werte und Normen, kurz WuN, und der war in dem Übersichtsplan irgendwie falsch ausgeschildert, nämlich mit drei Wochenstunden, obwohl er nur zwei haben sollte, und mir war auch noch nicht ganz klar, wo Gemeinschaftskunde, Bio und Latein stattfinden sollten.
Den Raum, in dem der Deutschkurs anfing, fand ich erst nach längerem Herumgesuche, und ich pflanzte mich auf den freien Platz am Tisch eines eckigen Sitzriesen, der mir zur Begrüßung die Hand reichte und sich vorstellte: »Rudi Buddrich.«
Wenn der glaubte, daß wir Freunde werden könnten, hatte er sich getäuscht, denn ich merkte gleich, daß der Kerl einen Schatten hatte: Wenn er sich meldete, dann schnipste er so eifrig mit den Fingern, als ob wir allesamt noch in der Grundschule gewesen wären.
Der Deutschlehrer hieß Baumann. Das war ein hagerer Miesepeter mit gestutztem Vollbart und Lederjacke. Der setzte uns als erstes einen fremdwörterstrotzenden Text über »Literaturdidaktik« vor, mit Begriffen wie »immanent«, »mimetisch«, »hermeneutisch«, »ontologisch« und »neopositivistisch«. In diesem Aufsatz war auch von »simplifizierenden Derivationen« die Rede.
In der großen Pause empfahl ich Hermann das Buch von Vance Packard, und er sagte, das müsse ich ihm mal ausleihen.
Von Michaela Vogt war wieder einmal nichts zu sehen, und mir war’s schon fast egal. Diese dumme Pute. Wie lange war ich der nun schon verfallen, und sie hatte mir in der ganzen Zeit niemals ein deutliches Zeichen gegeben, sondern nur einen Haufen verhuschter Blicke in die Gegend geworfen. Das hatte ich satt, und zwar bis Oberkante Unterlippe. Wenn ich nicht Michaelas Typ war, dann wollte ich meine Freiheit wiederhaben und mich neu verlieben dürfen.
Aber ob mir jemals ein weibliches Wesen begegnete, das mit Michaela Vogt mithalten konnte?
We walked on frosted fields of juniper and lamplight ...
Und schon wieder hatten sowohl Volker als auch ich die Pinocchio -Aufnahmen für Renate verschwitzt. Das würde noch Ärger geben.
Francois Truffauts Spielfilm »Schießen Sie auf den Pianisten« stammte aus dem Jahr 1960, also praktisch aus der mittleren Jungsteinzeit, in der noch niemand vor der Kamera die Hüllen fallengelassen hatte, doch olàlà, auf einmal waren die nackten Brüste der Geliebten des Pianisten im Bild.
»Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen«, sagte Mama, aber das wagte ich zu bezweifeln. Mit den zweistimmigen Inventionen von Bach hätte ich mir nicht einmal ein knorpeliges Mauerblümchen aus der Mittelstufe gefügig machen können.
29 Wochenstunden hatte ich als Sek-II-Schüler, und nun wollte ich auch mal was Brauchbares lernen, zum Beispiel in Musik. Die meisten von uns, sagte der Musikpauker Behrendt, könnten ja hoffentlich Noten lesen. »Sehe ich das richtig?« Dann werde er nämlich mit den Grundbegriffen der Harmonielehre beginnen. »Weiß hier jemand, was einen Ganztonschritt von einem Halbtonschritt unterscheidet?«
Rudi Buddrich zeigte auf und sagte: »Also, nach den mir vorliegenden Informationen gibt es in bestimmten außereuropäischen Tonsystemen auch Vierteltonschritte ...«
Er redete noch weiter, aber mehr hätte er nicht sagen müssen, um meinen gesamten Elan zum Erliegen zu bringen. Es war wie verhext: Sobald dieser Rudi Buddrich loslegte, wollte ich nur noch ganz weit weg sein und von nichts mehr irgendwas wissen und schon gar nicht mehr mitreden müssen, um mir selbst ’ne gute Note zu verdienen.
Leider hockte dieser Töffel dann auch im Lateinkurs und versuchte, sich beim Lehrer einzuschleimen, einem alten Knacker mit Poposcheitel, grünem Hemd und lila-orange-gemustertem Schlips.
Bio hatten wir bei Kleinschmidt. Der hatte einen Bart wie Abraham Lincoln und stellte von vornherein klar, daß es im Biologieunterricht der Oberstufe nicht mehr darum gehe, wie man am Puschelschwänzchen den Unterschied zwischen Hase und Kaninchen erkennen könne. Wir würden etwas tiefer in die Materie eindringen und uns mit der kleinsten Einheit des Lebens
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