Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Erfolg. Daraufhin befahl ihm Bellarmino, dem Papst unter Androhung von Höllenstrafen in seinem Namen zum Versprechen zu zwingen, diese skandalöse Praxis aufzugeben. Doch Paul V. trug dem Beichtvater auf, Kardinal Bellarmino folgende Antwort zu übermitteln: «Meine Vorgänger haben ebenso gehandelt, ich sehe keinen Grund, von ihrem Beispiel abzuweichen.» Wenn die Antwort vielleicht auch nicht in diesem Wortlaut gegeben wurde, so entspricht sie doch dem, was aus der Geschichtsforschung resultiert, sodass der Bericht Ameydens durchaus wahrheitsgetreu erscheint.
Abb. 6: Villa Borghese, Kupferstich nach einer Vorlage von Matthias Greuter, 1623
Hobbes hebt scharfsichtig den Widerspruch hervor, welcher der päpstlichen Institution innewohnt: Indem sie die zur Regierung des Staates bestimmten Einkünfte den Verwandten seines provisorischen Haupts zuschachert, unterminiert sie die eigene staatliche Funktion. Der Staat löst sich auf diese Weise auf, übrig bleibt nur die Kirche, die aber ebenso viele Widersprüche aufweist: Sie predigt Armut und stellt Reichtum zur Schau. Hobbes Schlussfolgerung lautet: «Niemals hat man gesehen, daß der Körper gesund ist, wenn der Kopf verderbt ist, und es ist unmöglich, daß jemand einen anderen führt, wenn er auf dem eigenen Weg strauchelt, oder daß jemand, der im eigenen Licht steht, der Führer anderer ist.»
Nach dem Blick auf die Person des Papstes und seine Neffen wendet sich Hobbes dem Kardinalskollegium zu. Die Kardinäle werden, so schreibt er, hauptsächlich aufgrund zweier Überlegungen ernannt, entweder weil sie treue Anhänger des Papstes sind oder weil sie von Fürsten, die starken Einfluss in Rom haben, protegiert werden – vor allem vom König von Spanien, der eine Reihe von Kardinälen mit seinen Pensionen unterhält. Dazu kommen die jüngeren Söhne einiger großer italienischer Familien, die nach alter Tradition ins Kardinalskolleg befördert werden, um die mit dem Amt verbundenen reichen Pfründen zu gewinnen. Hobbes hatte einmal Gelegenheit, an einer öffentlichen, vom Papst zelebrierten Zeremonie im Petersdom teilzunehmen und das strenge Ritual zu verfolgen, das die Kardinäle diesem gegenüber beachteten. Von den Kardinälen selbst zogen nur zwei seine Aufmerksamkeit auf sich, der Jesuit Roberto Bellarmino wegen seiner Gelehrsamkeit und Domenico Tosco, der bekannt war wegen einer sehr viel weniger löblichen Eigenschaft. Hobbes berichtet, dass Tosco während des letzten Konklaves, aus dem Paul V. hervorging, der stärkste Kandidat gewesen sei. Er habe über 45 von 60 Stimmen verfügt und sich deshalb schon für gewählt gehalten. Doch dann habe sich einer der angesehensten Kardinäle eingeschaltet, der Kirchenhistoriker Cesare Baronio, der, als Tosco schon per Akklamation gewählt und inthronisiert worden war, einwarf: «Wollt ihr jemanden zum Papst wählen, der keinen Satz sagen kann ohne diesen unflätigen lombardischen Fluch (Cazzo)? Was für eine Schande wird dies für unsere Wahl sein.» Wir wollen das von Hobbes überlieferte obszöne Wort für das männliche Genital hier nicht übersetzen, Hobbes war jedoch zweifellos über die gescheiterte Wahl von Tosco gut unterrichtet. Eine sorgfältige Rekonstruktion jenes Konklaves, gestützt auf eine umfangreiche Dokumentation durch den erzkatholischen Historiker der Päpste, Ludwig von Pastor, stimmt mit der von Hobbes gegebenen Version überein, auch was die Zahl der im Konklave versammelten Kardinäle betrifft (sechzig). Pastor nennt das obszöne Wort, das Hobbes ohne Zögern zu Papier brachte, natürlich nicht. Dass Hobbes es ausspricht, ist wiederum ein beredtes Zeichen für seine Respektlosigkeit gegenüber allem kirchlichen Brauch, wie sie schon in anderem Zusammenhang deutlich geworden ist.
Domenico Tosco wurde gegen 1535 in Castellarano in der heutigen Provinz Reggio Emilia in eine arme Familie hineingeboren. In seiner Jugend war er Soldat gewesen, und beim Militär hatte er sich jenen blumigen Jargon angewöhnt, den er auch später nie aufgab. Von den Waffen ging er zum Recht über und wurde ein tüchtiger Experte der Kanonistik. Dies führte ihn nach Rom, wo er an der Kurie seinen Weg machte. Papst Clemens VIII. wurde auf ihn aufmerksam und übertrug ihm die Leitung einer päpstlichen Behörde (der «Sacra Consulta»). Nachdem er sich zum Priester hatte weihen lassen, ernannte ihn Clemens VIII. 1595 zum Bischof von Tivoli und 1599 zum Kardinal wegen der Meriten, die er sich während einer
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