Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Corsini in Rom, Kupferstich, 1751
An diesem Punkt stellt sich die entscheidende Frage nach der wahren Natur seines Verhältnisses zu Christine von Schweden. Warum erlaubte diese, die doch eine Virago von starkem und entschiedenem Charakter war, einer ungenierten Persönlichkeit wie Azzolino, nach Belieben über sie und alle ihre Einkünfte zu verfügen? Die Antwort ist, dass sie von Anfang an heiß in ihn verliebt war. Dass ein zärtliches Verhältnis zwischen ihnen bestand, war sofort unübersehbar, denn Azzolino hielt es schon im März 1656 für nötig, dem Papst zu versichern, dass zwischen ihm und Christine nur völlig statthafte Beziehungen bestünden. Auch Papst Alexander VII. ermahnte ihn mehrmals, absolute Korrektheit walten zu lassen. Sichereren Aufschluss über ihre wahren Beziehungen könnten die vielen Briefe geben, die das Paar im Laufe von dreißig Jahren wechselte, leider aber vernichtete Azzolino diese Korrespondenz nach dem Tod Christines am 19. April 1689 fast vollständig. Christine hatte ihn in ihrem Testament zum Universalerben ernannt, und diese Stellung nutzte der Kardinal dazu aus, sich der ganzen Korrespondenz zu bemächtigen und sie bis auf Weniges zu verbrennen. Selbst schon schwer krank – er starb am 8. Juni 1689 –, verbrachte er die letzten Lebensmonate damit, vor allem seine eigenen Briefe aus dem Weg zu schaffen, aber kam auch noch dazu, viele der von Christine an ihn gerichteten in Flammen aufgehen zu lassen. Dennoch blieb ein Teil erhalten, nämlich jene Briefe, die Christine aus Hamburg in den Jahren 1666–1668 an ihn geschrieben hatte. Sie geben einen guten Einblick in die Art des Verhältnisses und die Persönlichkeit der beiden Korrespondenten.
Christine zeichnet von sich in diesen Briefen das Bild einer leidenschaftlich liebenden Frau. Um dies zu verdeutlichen, genügen schon wenige Beispiele. So schreibt sie in einem Brief aus Hamburg vom 13. September 1666: «Es bleibt mir nichts anderes mehr zu sagen übrig, als Euch anzuflehen, überzeugt davon zu sein, daß alle Veränderungen, die in meiner Fortüne eingetreten sind und alles, auch das Grausamste, was mir noch zu leiden beschieden ist, nie einen Wechsel in meinem Herzen bewirken kann, das Euch treu bis in den Tod bleiben wird.» In einem anderen, ebenfalls aus Hamburg geschriebenen Brief klagt sie über die unerträgliche Langeweile, die sie befällt, wenn sie fern von ihm ist: «Hier dauert eine Stunde vierundzwanzig Tage, und dieselben Tage, die in Rom nur einen Augenblick dauerten, dauern hier Jahrhunderte, (…) ich verbringe meine Nächte damit, mein Unglück zu beweinen, aber dieses Geheimnis kennen nur ich und Ihr.» Bemerkenswert ist, dass alle Stellen, die sie für kompromittierend hielt, wie in einer diplomatischen Korrespondenz chiffriert sind. Im gleichen Brief beteuert sie ihm noch einmal die Unveränderlichkeit ihrer Gefühle und ihre unverbrüchliche Treue bis zum Tod auch in dem Fall, dass Azzolinos Gefühle ihr gegenüber sich ändern sollten. Hier schwingt schon eine neue Gefühlslage mit, die die tatsächliche Einstellung Kardinal Azzolinos gegenüber seinem Schützling erahnen lässt. In einem später, am 12. Januar 1667 geschriebenen Brief beklagt sich Christine darüber, dass sie schon lange keinen Brief mehr von ihm erhalten habe und erinnert an die schönen Zeiten, als sie so oft von ihm hörte, um dann hinzuzufügen: «Alles ist vereist in diesem Land, ausgenommen nur mein Herz, das brennender denn je ist.» Dieser Brief ist nur das Präludium zu einem Brief vom 27. Januar, in dem Christine ihrem Schmerz darüber freien Lauf lässt, dass ihre verzehrende Leidenschaft beim Kardinal keine Resonanz finde, da er als Mann der Kirche fürchte, Gott zu beleidigen, wenn er die Liebe, die sie ihm entgegenbringt, erwidert: «Ich glaube, auf Eure Chiffren mit meiner vorigen Chiffre genug geantwortet zu haben. Ich füge jedoch hinzu, daß ich die Absicht habe, Gott mit Hilfe seiner Gnade nie zu beleidigen, und Euch nie Gelegenheit geben will, dies zu tun. Aber dieser Entschluß wird mich nicht daran hindern, Euch bis zum Tod zu lieben, und da Eure Frömmigkeit Euch daran hindert, mein Geliebter zu sein, löse ich Euch auch von der Pflicht, mein Diener zu sein, denn ich will als Eure Sklavin leben und sterben.» Endlich hat Christine erkannt, welches Spiel der Kardinal mit ihr spielt, und beginnt leise seinen Anspruch zu verspotten, sich ihr wie ein frommer, Zölibat und Keuschheitsgebot
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