Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
trinkt nichts als Wasser. Auch eine weibliche Arbeit hat sie nie begriffen; – dagegen macht es ihr Vergnügen zu hören, daß man sie bei ihrer Geburt für einen Knaben genommen, daß sie in der frühesten Kindheit beim Abfeuern eines Geschützes statt zu erschrecken, in die Hände geklatscht und sich als ein rechtes Soldatenkind ausgewiesen habe; auf das kühnste sitzt sie zu Pferde, einen Fuß im Bügel, so fliegt sie dahin; auf der Jagd weiß sie das Wild mit dem ersten Schuß zu erlegen. Sie studiert Tacitus und Plato und faßt diese Autoren zuweilen selbst besser als Philologen von Profession. So jung ist sie, so versteht sie sich auch in Staatsgeschäften selbständig eine treffende Meinung zu bilden und sie unter den in Welterfahrung ergrauten Senatoren durchzufechten; sie wirft den frischen Mut ihres angeborenen Scharfsinns in die Arbeit; vor allem ist sie von der hohen Bedeutung durchdrungen, die ihr ihre Herkunft gibt, von der Notwendigkeit der Selbstregierung … Wäre ein neuer Krieg ausgebrochen, so würde sie sich unfehlbar an die Spitze ihrer Truppen gestellt haben» (Abb. 10).
Abb. 10: Sébastien Bourdon, Christine von Schweden, 1653, Stockholm, National Museet
Als sie neun war, erzählte ihr jemand zum ersten Mal etwas über die katholische Religion und sagte ihr unter anderem, dass die Ehelosigkeit dort als ein Verdienst angesehen werde, was sie begeisterte. Dies war der erste Schritt auf dem langen Weg, der sie zum Übertritt zum katholischen Glauben führen sollte. Der Entschluss reifte langsam, erst 1651, als sie fünfundzwanzig war, beschloss sie endgültig, zum Katholizismus zu konvertieren. Zugleich entschied sie sich, auf den schwedischen Thron zu verzichten, da die katholische Konfession als unvereinbar mit dem Königtum eines protestantischen Landes angesehen wurde. Am 24. Juni 1654 dankte die letzte Vertreterin des Hauses Wasa, das seit mehr als einem Jahrhundert in Schweden regierte, zugunsten ihres Cousins, des Pfalzgrafen Karl Gustav, ab. Sie behielt sich aber die Regierung einiger Provinzen vor, um sich die für das standesgemäße Leben einer ehemaligen Königin nötigen Einkünfte zu sichern. Kurz danach verließ sie Schweden und begab sich von Stockholm nach Brüssel, wo sie im Geheimen zum Katholizismus übertrat. Schon zuvor hatte sie Beziehungen zu Papst Alexander VII. aufgenommen, der ihr den Legaten Lucas Holstenius, einen zum Katholizismus konvertierten deutschen Protestanten, entgegensandte, um der Konversion die höchstmögliche Publizität zu verleihen. Sie trafen sich in Innsbruck, wo in der Hofkirche am 3. November 1655 in einer feierlichen Zeremonie der Übertritt stattfand. Von Innsbruck aus reiste Christine dann nach Rom weiter, wo sie am 20. Dezember 1655 eintraf. Kurz vor der Stadt kam ihr ein feierlicher Zug entgegen, um sie zu empfangen. Er wurde von zwei Kardinälen angeführt, von denen der eine ein ebenfalls konvertierter Deutscher war. Am 25. Dezember erhielt sie im Petersdom durch Alexander VII. die Firmung, die Kommunion und zwei neue Namen: Maria und Alexandra. Am 26. nahm sie Logis im Palazzo Farnese, den ihr der Herzog von Parma zur Verfügung gestellt hatte.
Am Abend des 31. Dezember erhielt Christine im Vatikan den Besuch von Kardinal Azzolino, dem der Papst aufgetragen hatte, sich um sie zu kümmern. Decio Azzolino war 1623 in Fermo in den Marken geboren, seine Familie gehörte dem kleinen örtlichen Adel an. Er selbst hatte einen Doktortitel in kanonischem Recht erworben, war 1641 zum Priester geweiht worden und unter der Protektion Kardinal Francesco Barberinis nach Rom gegangen. Seit 1643 gehörte er zum Umkreis des bald darauf zum Kardinal erhobenen, hohen Prälaten Giovanni Giacomo Panciroli. Ihm assistierte er im Konklave, aus dem Papst Innozenz X. hervorging. Dieser ernannte den inzwischen gut in den kurialen Kreisen heimischen Azzolino zum Kardinal. 1655 war er einer der Hauptakteure in einer Gruppe von Kardinälen, der sogenannten Fliegenden Schwadron, welche die Unabhängigkeit der römischen Kirche von den katholischen Schutzmächten Spanien und Frankreich erklärte und mit diesem Programm gegen den Willen Frankreichs die Wahl von Papst Alexander VII. durchsetzte. Deshalb mit diesem eng verbunden, erhielt Azzolino den Auftrag, sich um die Belange Christines von Schweden in Rom zu kümmern. Als die Fürstin ihn kennenlernte, war der Kardinal zweiunddreißig Jahre alt und gut aussehend, elegant in der Kleidung und von
Weitere Kostenlose Bücher