Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
einer der mutigsten und fähigsten Gegner des Faschismus, den er in einer Reihe wortstarker und beweiskräftiger Reden im Parlament heftig bekämpfte. Im April 1924 war er in England gewesen, wo er entdeckt hatte, dass Mussolini ein Abkommen mit der amerikanischen Sinclair-Oil-Gesellschaft abgeschlossen hatte, in dem der Duce gegen eine beträchtliche Summe, die zur Finanzierung der faschistischen Presse dienen sollte, dieser das Monopol zur Ausbeutung der italienischen Ölvorkommen überlassen hatte. Matteotti schickte sich an, dieses Abkommen im Parlament zu denunzieren, doch bekam Mussolini Wind davon und ließ ihn aus dem Weg räumen, bevor er das Geschäft publik machen konnte. Am 1. Juni 1924 griff er Matteotti in einem Artikel in seiner Zeitung Il Popolo d’Italia aufs Heftigste an. Kurz zuvor war am 22. Mai ein faschistischer Schlägertrupp, angeführt von Amerigo Dumini und Albino Volpi, von Mailand nach Rom gekommen und begann Matteotti zu bespitzeln. Am 10. Juni erwarteten sie ihn auf dem Lungotevere Arnaldo da Brescia im Norden Roms, schlugen ihn bewusstlos und luden ihn in ein Auto, das mit größter Geschwindigkeit in Richtung der Milvischen Brücke davonfuhr. Während dieser Fahrt wurde Matteotti ermordet, sein Leichnam wurde erst am 16. August an der Via Flaminia aufgefunden. Die fünf am Mord Beteiligten wurden schon wenige Tage nach der Entführung festgenommen. Ihre Identität führte direkt zu Mussolini, was die faschistische Regierung in große Bedrängnis brachte. Nur die Weigerung König Vittorio Emanueles III., Mussolini zu entlassen, rettete sie. Die Untersuchungen gegen die Mörder wurden durch den faschistischen Druck auf das Gericht schwer beeinträchtigt. Die Rede Mussolinis im Parlament am 3. Januar 1925 war eine offene Drohung an die Opposition oder das, was von ihr übrig geblieben war. Außerdem wurde am 31. Juli 1925 ein Amnestiegesetz für alle politischen Straftaten erlassen, am 1. Dezember setzte ein Urteil des Untersuchungsrichters die Angeklagten auf freien Fuß. Der vor dem Gericht in Chieti geführte Prozess endete im März 1926 mit einer Verurteilung zu leichten Strafen für drei der Täter, die aufgrund des Amnestiegesetzes ein Urteil wegen Mords vermeiden konnten und mit zwei Jahren Gefängnis davonkamen. So wie alle gebildeten und zeitunglesenden Italiener, musste Bianchi über all das informiert sein. Warburg sollte jedoch erst während seines Aufenthalts in Rom erkennen, wie viel Falsches ihm Bianchi in Bologna aufgetischt hatte. Er erinnerte sich an den Fall Matteotti, als er einmal den Lungotevere Arnaldo da Brescia entlang fuhr. Am 3. März 1929 notierte er im Tagebuch: «Der Ort wo Matteotti ermordet wurde war hier.»
Nach einer Rundreise durch die Marken und Umbrien mit längeren Aufenthalten in Perugia und Assisi erreichten Warburg und Bing am 10. November 1928 Rom, stiegen im Palace-Hotel ab und nahmen ersten Kontakt mit den deutschen Freunden in der Bibliotheca Hertziana auf, dem bedeutenden kunsthistorischen Forschungsinstitut, dessen Direktor damals Ernst Steinmann war. Am 18. November fand hier ein Treffen mit den deutschen Forschern in Rom statt – es waren an die sechzig Personen gekommen. Warburg fiel gleich auf, dass Steinmann in seinem Amtszimmer ein Foto Mussolinis mit eigenhändiger Unterschrift bewahrte, und er bemerkte auch, dass unter den Anwesenden der seit langem in Italien lebende, naturalisierte Soziologe und Professor an der Universität Perugia, Roberto Michels, das faschistische Abzeichen am Kragen trug. Seine engen Beziehungen zur faschistischen Partei waren im intellektuellen Milieu Roms bekannt, und auch Warburg wusste davon. Als er und Gertrud Bing einige Tage später einer Einladung Steinmanns zu einem Essen in der Bibliothek folgten, trafen sie dort den Kunsthistoriker und Direktor der Altertümer und Künste, Arduino Colasanti, an. Dies war nun endlich ein Antifaschist. Er machte bei Tisch die bissige Bemerkung, dass beim Duce der letzte, den er gesprochen habe, Recht habe.
Einige Tage später suchte Warburg Kardinal Franz Ehrle auf, Jesuit und Archivar und Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche, der seine Sympathien für den Faschismus nicht vor ihm verbarg. Kardinal Ehrle schrieb Mussolini wichtige politische Erfolge zu und zeigte sich besorgt über das Fehlen einer Persönlichkeit von gleicher Statur, die sein Nachfolger hätte werden können, falls Mussolini ausfiele. Er lobte Mussolini für seine Förderung
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