Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
der Landwirtschaft und kam dann auf die Manöver der Freimaurer zu sprechen, die vor dem Faschismus mit ihrer Günstlingswirtschaft alles besudelt hätten; zum Glück aber hätten sich die Offiziere, wie er wisse, für den Faschismus und gegen eventuelle Machenschaften der Freimaurer ausgesprochen.
Warburg kommentierte die Aussagen Ehrles nicht, er registrierte sie nur im Tagebuch. Anscheinend hatte er sich über den Faschismus noch keine feste Meinung gebildet, und die vielen positiven Äußerungen von Seiten Deutscher wie Italiener ließen ihn perplex. Kurz nach der Begegnung mit Kardinal Ehrle suchte er Giovanni Gentile auf, den er dann noch mehrmals traf, aber in den Notizen darüber findet sich nichts Politisches, obwohl Warburg wusste, dass Gentile eine der wichtigsten Stützen des faschistischen Regimes war. Am 5. Januar 1929 sah er dann seinen alten Freund Giorgio Pasquali wieder, einen der bedeutendsten klassischen Philologen Italiens, welcher ihm erzählte, wie die italienische Regierung, nur um dem Vatikan einen Gefallen zu tun, einem der angesehensten Professoren der römischen Universität den Lehrstuhl entzogen hatte. Die Tatsachen sind folgende: Der römische Geistliche Ernesto Buonaiuti lehrte seit vielen Jahren Geschichte des Christentums an der «Sapienza», doch war er als Hauptvertreter des italienischen Modernismus, einer heterodoxen Strömung innerhalb des europäischen Katholizismus, dem Vatikan verhasst und deshalb am 25. Februar 1926 exkommuniziert worden. Da Mussolini wegen der bereits laufenden Konkordatsverhandlungen allen Wünschen des Vatikans gegenüber sehr offen war, wurde Buonaiuti auf seine Veranlassung hin schon wenige Tage nach der Exkommunikation aus der Universität entlassen.
Am 11. Februar 1929 schrieb Warburg ins Tagebuch: «Mussolini zeichnet den Vertrag mit der ‹Città del Vaticano›.» Es handelte sich um die sogenannten Lateranverträge, das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem italienischen Staat. Am Tag darauf ging Gertrud Bing ohne Warburg nach Sankt Peter, um sich die Feierlichkeiten aus Anlass des siebten Thronjubiläums von Papst Pius XI. (Achille Ratti), der am 12. Februar 1922 gekrönt worden war, anzuschauen, wobei ihre Aufmerksamkeit besonders den visuellen Aspekten galt. Weil am Tag zuvor die Lateranverträge unterzeichnet worden waren, wurde das Jubiläum besonders prunkvoll begangen. Bing merkte an: «Die Pracht, mit der dieser Nachfolger Christi unter die Menge tritt, läßt alles was ich im kaiserlichen Deutschland und in England an saecularem Pomp gesehen habe, einfach als billige Nachahmung erscheinen.» Diese ganze Prachtentfaltung erschien ihr «ein Nachleben des Triumphierenden Heidentums». Am 18. Februar notierte Warburg, dass er die «Conciliazione» – die Aussöhnung zwischen Staat und Kirche – im Kino gesehen habe: «Eine zauberhafte Mithilfe des Erlebens, trotz allem. Kardinal Gasparri und Mussolini in ihrem Aufstieg aus dem Volk (ärmliche Dörfer erschienen als Geburtsstätten) der Volksseele präsentiert. Man sah vorher den Papst, wie er die Missionare (farbig zum Teil) empfängt, wie er sein neues Auto besteigt … Das Feinste: Mussolini erscheint am ‹Versöhnungstage› nirgends in der Öffentlichkeit: nur die beiden Flaggen: Ich war erstaunt über sein Lippenspiel: ein böser, schöner, caesarischer Mund … Kardinal Gasparri saß da unabhängig vom Bewußtsein des Beobachtetwerdens, wie ein monumentaler alter gewiegter Dorfschulze.» Im Dokumentarfilm, den er in Rom sah, beeindruckte Warburg also besonders das Gesicht Mussolinis, die Bewegung der Lippen, die ihm einen Ausdruck herrischer Bosheit gab, eine Beobachtung, aus der die große visuelle Erfahrung des Hamburger Kunsthistorikers spricht.
Der Unterzeichnung der Lateranverträge waren langwierige Verhandlungen vorausgegangen, die von Mussolini selbst mit dem Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri, einem Experten des kanonischen Rechts mit langer diplomatischer Erfahrung, geführt worden waren. Mussolini kannte den Kardinal seit langem, schon 1921 hatte ihm sein enger persönlicher Freund, der Jesuit Pietro Tacchi Venturi, ein Treffen mit ihm vermittelt, 1923 sahen sich die beiden zum zweiten Mal. Bei dieser Gelegenheit hatte Gasparri Mussolini als «einen Mann ersten Ranges» bezeichnet. Der Kardinal hegte große Sympathien für den Faschismus und pries die Lateranverträge als «eine klerikofaschistische Symphonie». Dies ist nicht weiter verwunderlich, hatte
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