Alle Weihnachtserzählungen
Häßlich im Aussehen und in seinem Wesen. Immer kalt und gefühllos. Ganz und gar nicht, wie ich ihn dir in allem beschrieben hab, mein Kind. In allem.“
„Oh“, rief das blinde Mädchen, das, wie es schien, in unerträglichem Maße gepeinigt war, „warum hast du das nur getan? Warum hast du erst mein Herz erfüllt und kommst dann wie der Tod herein und reißt mir die Gegenstände meiner Liebe weg? O Himmel, wie blind bin ich! Wie hilflos und verlassen!“
Ihr niedergeschlagener Vater ließ den Kopf hängen, erwiderte mit nichts anderem als seiner Reue und seinem Kummer.
Sie war noch nicht lange in dieser betrübten Stimmung, als das Heimchen am Herd, nur von ihr vernommen, zu zirpen begann. Nicht fröhlich, sondern leise, schwach und klagend. Es war dermaßen traurig, daß ihre Tränen zu fließen begannen, und als die Fee, die die ganze Nacht hindurch neben dem Fuhrmann gestanden hatte, hinter ihr auftauchte und auf ihren Vater wies, rannen sie in Strömen.
Bald vernahm sie die Stimme des Heimchens deutlicher und wurde sich wegen ihrer Blindheit der Fee bewußt, die ihren Vater umschwebte.
„Mary“, sagte das blinde Mädchen, „erzähle mir, wie mein Zuhause aussieht. Wie es wirklich aussieht.“
„Es ist eine ärmliche Wohnung, wahrhaftig sehr ärmlich und dürftig. Das Haus wird kaum einen weiteren Winter Wind und Regen standhalten. Es ist genausowenig vor dem Wetter geschützt, Bertha, wie dein armer Vater in seinem Mantel aus Sackleinen“, fuhr Pünktchen mit leiser, klarer Stimme fort.
Das blinde Mädchen, das arg erschüttert war, nahm die kleine Frau des Fuhrmannes beiseite.
„Diese Geschenke, auf die ich so achtgegeben habe und die meine Wünsche erfüllten und mir so angenehm waren“, sagte sie zitternd, „woher kamen sie? Hast du sie geschickt?“
„Nein.“
„Wer dann?“
Pünktchen sah, daß sie bereits begriffen hatte, und schwieg. Wieder hielt das blinde Mädchen die Hände vors Gesicht. Doch jetzt auf eine ganz andere Art.
„Liebe Mary, einen Augenblick. Nur einen Augenblick! Mehr hier entlang. Sprich leise mit mir. Du bist ehrlich, das weiß ich. Du würdest mich nicht betrügen, stimmt’s?“
„Nein, Bertha, wirklich nicht!“
„Nein, dessen bin ich mir sicher. Du hast zu großes Mitleid mit mir. Mary, sieh zu dem Raum hin, in dem wir bis vor kurzem waren und in dem sich mein Vater – der so mitfühlend und liebevoll zu mir ist – aufhält, und sage mir, was du siehst.“
„Ich sehe einen alten Mann“, sagte Pünktchen, die sie gut verstand, „der auf einem Stuhl sitzt und sich sorgenvoll auf die Lehne stützt und das Gesicht in der Hand ruhen läßt. Als ob er von seinem Kind getröstet werden möchte, Bertha.“
„Ja, ja, das wird es tun. Sprich weiter.“
„Er ist ein alter Mann, von Sorge und Arbeit verzehrt. Er ist ein magerer, niedergeschlagener, nachdenklicher, grauhaariger Mann. Ich sehe ihn jetzt, wie er verzweifelt und gebeugt ist und gegen nichts ankämpft. Aber Bertha, ich habe früher viele Male gesehen, wie er sich auf verschiedene Weise für ein heiliges Ziel hart gemüht hat. Und ich verehre sein graues Haupt und segne ihn!“
Das blinde Mädchen riß sich von ihr los, warf sich vor ihrem Vater auf die Knie und nahm das graue Haupt an ihre Brust.
„Ich kann wieder sehen. Ich kann sehen!“ rief sie. „Ich war blind, und jetzt sind meine Augen geöffnet. Ich habe ihn nie gekannt! Welch ein Gedanke, daß ich gestorben wäre und den Vater nie richtig gesehen hätte, der so liebevoll zu mir war!“
Caleb fand keine Worte für seine Gefühle.
„Es gibt keine noch so stattliche Gestalt auf der Welt“, rief das blinde Mädchen und hielt ihn umschlungen, „die ich so von Herzen liebe und der ich so hingebungsvoll zugetan bin wie dieser. Je grauer und abgezehrter, desto lieber, Vater. Niemals mehr soll jemand sagen, ich sei blind. Nicht eine Falte in seinem Gesicht, kein einziges Haar auf seinem Haupt soll in meinen Dankgebeten vergessen werden.“
Caleb brachte „Meine Bertha!“ heraus.
„Und in meiner Blindheit glaubte ich ihm“, sagte das Mädchen, ihn unter Tränen der Rührung liebkosend, „daß er ganz anders sei. Und obwohl er tagtäglich an meiner Seite und stets aufmerksam gegen mich war, habe ich mir dies nie träumen lassen.“
„Der kräftige, gutaussehende Vater im blauen Mantel, Bertha“, sagte der arme Caleb. „Er is gestorben.“
„Nichts ist gestorben“, antwortete sie. „Nein, liebster Vater. Alles ist
Weitere Kostenlose Bücher