Alle Weihnachtserzählungen
aber als völlig uninteressant für ihn hinstellte.
Nein. Trottys und auch Megs Beschäftigung bestand darin, Will Fern und Lilian essen und trinken zu sehen. Niemals fanden Zuschauer bei einem Diner in der Stadt oder Hofbankett ein so großes Vergnügen daran, andere schlemmen zu sehen, auch wenn es ein König oder ein Papst gewesen wäre, wie es diese beiden an jenem Abend hatten. Meg lächelte Trotty an, Trotty lachte Meg an. Meg schüttelte den Kopf und tat, als klatschte sie in die Hände, um Trotty zu applaudieren; Trotty gab Meg in einer Zeichensprache unverständliche Geschichten zu verstehen, wie und wann und wo er ihre Besucher gefunden hatte, und sie waren glücklich. Sehr glücklich.
,Obwohl‘, dachte Trotty sorgenvoll, als er Megs Gesicht beobachtete, ‚die Heirat geplatzt ist, wie ich sehe!‘
„Nun werde ich euch mal was erzählen“, sagte Trotty nach dem Tee. „Die Kleine da, die schläft mit Meg zusammen.“
„Mit der guten Meg!“ rief das Kind und tätschelte sie. „Mit Meg.“
„Das ist richtig“, sagte Trotty. „Und ich würde mich nicht wundern, wenn sie auch Megs Vater küßt, wie? Ich bin Megs Vater.“
Trotty war hocherfreut, als das Kind schüchtern auf ihn zukam, und als es ihn geküßt hatte, suchte es wieder Zuflucht bei Meg.
„Sie ist so weise wie Salomon“, sagte Trotty. „Da kommen wir ja schon und – nein, wir … das meine ich nicht … ich … was wollte ich gerade sagen, Meg, mein Schatz?“
Meg blickte auf ihren Gast hinab, der sich gegen ihren Stuhl lehnte und mit abgewandtem Gesicht den Kopf des Kindes liebkoste, der halb in ihrem Schoß verborgen war.
„Natürlich“, sagte Toby. „Selbstverständlich! Ich weiß gar nicht, was ich heute abend alles zusammenrede. Ich glaube, ich bin ganz durcheinander. Will Fern, Sie kommen mit mir mit. Sie sind todmüde und fertig, weil Sie Ruhe brauchen. Sie kommen mit mir mit.“
Der Mann spielte noch immer mit den Locken des Kindes, lehnte sich noch immer gegen Megs Stuhl und wandte noch immer das Gesicht ab. Er sprach nicht, aber in seinen plumpen, rauhen Fingern, die sich in dem blonden Haar des Kindes zusammenpreßten und wieder ausdehnten, lag eine Beredsamkeit, die genug sagte.
„Ja, ja“, sagte Trotty und antwortete unbewußt auf das, was er im Gesicht seiner Tochter lesen konnte. „Nimm sie mit, Meg. Bring sie zu Bett. Na, Will! Nun werd ich Ihnen zeigen, wo Sie liegen können. Es ist kein besonderes Plätzchen, nur ein Heuboden, aber ich sage immer, wenn man ’nen Heuboden hat, ist das schon ’n großer Vorteil hier in den Stallungen, und bis dieser Wagenschuppen und Stall ’nen besseren Vermieter kriegt, wohnen wir hier billig. Da oben liegt ’ne Menge Heu, das einem Nachbarn gehört, und es ist pieksauber, und Meg kann es zurechtmachen. Kopf hoch! Nicht unterkriegen lassen! Immer mit frohem Herzen ins neue Jahr!“
Die Hand, die das Haar des Kindes losgelassen hatte, war zitternd in Trottys Hand gesunken. So führte ihn Trotty, der ununterbrochen sprach, behutsam und mühelos hinaus, als wäre er selbst ein Kind.
Da er eher als Meg zurückkehrte, lauschte er einen Moment an der Tür ihrer kleinen Kammer, einem Nebenraum. Das Kind murmelte ein einfaches Gebet, bevor es sich schlafen legte, und als es sich an Megs Namen erinnert hatte, flüsterte sie: „Meine liebe, liebe Meg.“ Dann hörte Trotty es innehalten und nach seinem Namen fragen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der alte närrische kleine Geselle so weit beruhigt hatte, daß er das Feuer schüren und seinen Stuhl an den warmen Herd ziehen konnte. Als er das getan und die Kerze geputzt hatte, nahm er die Zeitung aus der Tasche und begann zu lesen – zunächst gleichgültig und die Spalten flüchtig überfliegend, doch bald mit ernster und trauriger Aufmerksamkeit.
Denn eben diese furchtbare Zeitung lenkte Trottys Gedanken in dieselben Bahnen, in denen sie sich den ganzen Tag über bewegt und die die Ereignisse des Tages bestimmt hatten. Sein Interesse an den beiden Wanderern hatte ihn für den Augenblick in einen anderen, einen glücklicheren Gedankengang gelenkt. Als er aber wieder allein war und von den Verbrechen und Gewalttätigkeiten der Menschen las, fiel er in seine frühere Denkweise zurück.
In dieser Gemütsverfassung stieß er auf einen Bericht (nicht den ersten dieser Art) über eine Frau, die in ihrer Verzweiflung nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem kleinen Kind das Leben genommen hatte. Das war ein so
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