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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wußte das genau, als sie gedankenverloren vor dem Herd saß. Die Nacht ist dunkel, sang der Kessel, und das vermoderte Laub liegt neben dem Weg, und darüber hängen Nebel und Finsternis, darunter ist nur Schlamm und Kot; und es gibt nur einen Trost in dieser trüben und undurchdringlichen Luft, und ich weiß nicht, daß es einer ist, denn es ist weiter nichts als ein blendender Glanz von tiefem, kräftigem Rot, wo Sonne und Wind gemeinsam in den Wolken einen Brand entfachen, weil sie an solchem Wetter schuld hatten; und das breiteste Stück offenen Geländes ist ein langer, trostloser, schwarzer Streifen; auf dem Wegweiser liegt Rauhreif und auf dem Weg Tau; und das Eis ist noch kein Wasser, und das Wasser ist nicht frei; und man könnte nicht sagen, daß alles so ist, wie es sein sollte. Aber er kommt, er kommt, er kommt!
    Und hier, wenn man so will, setzte das Heimchen mit seinem Zirpzirpzirp ein, dessen Umfang gewaltig war; mit einer Stimme, die im Vergleich zum Kessel in so einem erstaunlichen Mißverhältnis zu seiner Größe stand (Größe? Man konnte es gar nicht sehen!), daß es, wenn es sofort wie eine überladene Waffe explodiert wäre, wenn es auf der Stelle vernichtet worden wäre und sein kleiner Körper in fünfzig Teilen zwitschern würde, wie eine natürliche und unausbleibliche Folge gewirkt hätte, um die es sich ausdrücklich bemüht hatte.
    Der Kessel hatte seine letzte Solovorstellung gegeben. Er fuhr mit unvermindertem Eifer fort, doch das Heimchen spielte die erste Geige und blieb dabei. Du lieber Himmel, wie es zirpte! Seine schrille, scharfe, durchdringende Stimme hallte im ganzen Haus wider und schien draußen in der Dunkelheit wie ein Stern aufzublitzen. Wenn sie am lautesten erklang, lag ein unbeschreibliches Trillern und Zittern in ihr, was die Vorstellung erweckte, daß es sich in die Luft erheben wollte und vor Begeisterung hochsprang. Doch sie kamen gut miteinander aus, das Heimchen und der Kessel. Der Kehrreim des Liedes war stets derselbe, und lauter und immer noch lauter eiferten sie einander nach.
    Die blonde kleine Zuhörerin – denn sie war blond und jung, obwohl von etwas „pummeliger“ Gestalt, doch mich stört das nicht – zündete eine Kerze an und warf dem Heumacher oben auf der Spitze der Uhr, der eine ganz schöne Durchschnittsernte an Minuten einbrachte, einen flüchtigen Blick zu; dann schaute sie aus dem Fenster, wo sie wegen der Dunkelheit nichts außer ihrem eigenen Spiegelbild sah. Übrigens bin ich der Meinung (und das wäre auch die Ihre), daß sie lange hätte schauen können, ohne etwas nur halb so Liebenswertes zu sehen. Als sie zurückkam und sich auf ihren alten Platz setzte, hatten das Heimchen und der Kessel noch nicht in ihrem wilden Wettstreit nachgelassen. Die schwache Seite des Kessels war offenbar, daß er nicht wußte, wann er besiegt worden war.
    Die ganze Aufregung eines Wettkampfes lag über allem. Zirp, zirp, zirp! Das Heimchen war meilenweit voraus. Der Kessel summte in der Ferne wie ein großer Kreisel. Zirp, zirp, zirp! Das Heimchen war schon um die Ecke. Summ, summ, summ! Der Kessel blieb ihm auf seine Weise auf den Fersen, kein Gedanke daran, aufzugeben. Zirp, zirp, zirp! Das Heimchen war lebhafter denn je. Summ, summ, sum-m! Der Kessel war langsam und gleichbleibend. Zirp, zirp, zirp! Das Heimchen schickte sich an, ihn auszustechen. Summ, summ, sum-m! Der Kessel ließ sich nicht ausstechen. Bis sie schließlich in der Verwirrung und dem Holterdiepolter des Wettstreits so durcheinandergerieten, daß ein klarerer Kopf als Ihrer oder meiner vonnöten gewesen wäre, eindeutig zu entscheiden, ob der Kessel zirpte und das Heimchen summte oder das Heimchen zirpte und der Kessel summte oder beide zirpten und beide summten. Doch über eines besteht kein Zweifel: daß der Kessel und das Heimchen in ein und demselben Moment und durch die Verschmelzung, die sie beide am besten merkten, jeder vom häuslichen Herd sein Lied des Wohlbehagens ausschickte, das in einen Strahl der Kerze einfloß, die wiederum aus dem Fenster hinausschien und ein ganzes Stück der Gasse beleuchtete. Und dieses Licht, das plötzlich auf eine gewisse Person, die sich in diesem Augenblick in der Düsternis näherte, traf, erklärte dieser die ganze Angelegenheit buchstäblich mit einem Wimpernzucken und rief: „Willkommen zu Hause, alter Freund! Willkommen zu Hause, mein Junge!“
    Als der Kessel dieses Ziel erreicht hatte und besiegt worden war, kochte er über und wurde

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