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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hätte sagen wollen. Doch im nächsten Moment kniete sie vor dem Korb, sprach mit munterer Stimme und beschäftigte sich mit den Päckchen.
    „Heute sind’s nicht viele, John, aber ich habe grade ein paar Waren hinter dem Wagen gesehen, und obwohl sie uns vielleicht mehr Mühe machen, werden sie sich schon lohnen. So haben wir also keinen Grund zu murren, stimmt’s? Außerdem hast du wohl geliefert, als du vorbeikamst?“
    „O ja“, sagte John. „Eine ganze Menge.“
    „Nanu, was ist das für ’ne runde Schachtel? Meine Güte, John, das ist ’n Hochzeitskuchen!“
    „Überlaß es nur einer Frau, das herauszufinden“, sagte John bewundernd. „Kein Mann hätte jemals daran gedacht. Und ich bin der Überzeugung, daß, wenn man einen Hochzeitskuchen in einer Teekiste oder einem Klappbett oder einem Fäßchen Lachs oder irgendeinem andren Ding verpackt, eine Frau ihn ganz bestimmt sofort herausfinden würde. Ja, ich habe ihn beim Pastetenbäcker bestellt.“
    „Und der wiegt, ich weiß nicht, wieviel – ’nen ganzen Zentner!“ rief Pünktchen und unternahm demonstrativ große Anstrengungen, ihn anzuheben. „Wessen ist das, John? Wohin geht der?“
    „Lies die Anschrift auf der andren Seite“, sagte John.
    „John! Du meine Güte, John!“
    „Ha, wer hätte das gedacht!“ erwiderte John.
    „Du willst doch nicht etwa sagen“, fuhr Pünktchen fort, wobei sie auf dem Fußboden saß und den Kopf über ihn schüttelte, „daß es sich um Gruff & Tackleton, den Spielzeugmacher, handelt!“
    John nickte.
    Mrs. Peerybingle nickte ebenfalls, mindestens fünfzigmal. Nicht zustimmend, sondern in stummer und mitleidiger Verwunderung. Derweil zog sie ihre Lippen mit aller Macht zusammen (obwohl sie dafür nicht bestimmt waren; darüber bin ich mir im klaren) und blickte geistesabwesend durch den guten Fuhrmann hindurch. Miss Slowboy, die eine mechanische Kraft besaß, Fetzen des laufenden Gesprächs zum Ergötzen des Babys wiederzugeben, wobei ihr Sinn verlorenging und alle Substantive in den Plural gesetzt wurden, erkundigte sich inzwischen laut bei dem kleinen Wesen: „Waren es denn Gruffs & Tackletons? Würdest du bei Pastetenbäckern Hochzeitskuchen bestellen? Kennen seine Mütter die Schachteln, wenn seine Väter sie nach Hause bringen?“ und so weiter.
    „Und das soll wirklich passieren?“ sagte Pünktchen. „Ich ging doch mit ihr zusammen zur Schule, John.“
    Er mag sie sich vorgestellt haben oder annähernd vorgestellt haben, wie sie in dieser Schulzeit aussah. Er betrachtete sie mit nachdenklichem Vergnügen, gab aber keine Antwort.
    „Und er so alt! So ganz anders als sie! Wie viele Jahre ist denn Gruff & Tackleton älter als du, John?“
    „Wie viele Tassen Tee soll ich heute abend bei einer Mahlzeit mehr trinken, als Gruff & Tackleton bei vier Mahlzeiten getrunken hat, frage ich mich!“ gab John gut aufgelegt zurück, als er einen Stuhl an den runden Tisch zog und sich an den kalten Schinken machte. „Was das Essen anbelangt, esse ich nur wenig, aber das wenige genieße ich, Pünktchen.“
    Sogar seine übliche Äußerung bei Mahlzeiten, eine seiner unschuldigen Selbsttäuschungen (denn sein Appetit war stets hartnäckig und strafte ihn glattweg Lügen), rief kein Lächeln auf dem Gesicht seiner kleinen Frau hervor. Sie stand zwischen den Päckchen, schob die Kuchenschachteln langsam mit dem Fuß von sich und achtete nicht einmal auf ihre eleganten Schuhe, die sie sonst so bewunderte, obwohl ihre Blicke darauf gerichtet waren. In Gedanken versunken stand sie da, kümmerte sich weder um den Tee noch um John (obwohl er sie rief und auf den Tisch klopfte, um sie aufzuschrecken), bis er aufstand und sie am Arm berührte. Dann sah sie ihn einen Augenblick an und eilte an ihren Platz hinter dem Tablett mit den Teesachen, über ihre Nachlässigkeit lachend. Aber nicht, wie sie vorher gelacht hatte. Art und Klang waren völlig verändert.
    Auch das Heimchen hatte aufgehört zu zirpen. Irgendwie war der Raum nicht mehr so heiter wie zuvor. Kein Vergleich.
    „Das sind also alle Päckchen, ja, John?“ fragte sie und brach das lange Schweigen, das der wackere Fuhrmann dem praktischen Nachweis eines Teils seiner Lieblingsäußerung gewidmet hatte – er genoß ganz gewiß, was er aß; wenn man schon nicht zugeben konnte, daß er wenig aß. „Das sind also alle Päckchen, ja, John?“
    „Das sind alle“, sagte John. „Nun – nein – ich …“, er legte Messer und Gabel hin und holte tief Luft.

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