Alle Weihnachtserzählungen

„Wahrhaftig! Ich habe glatt den alten Herrn vergessen!“
    „Den alten Herrn?“
    „Im Wagen“, sagte John. „Als ich ihn zuletzt gesehen hab, schlief er im Stroh. Zweimal hab ich mich fast an ihn erinnert, seit ich reinkam, aber er is mir wieder entfallen! Hallo! Heda! Wach auf! Das ist mein Ernst!“
    John sagte diese Worte draußen vor der Tür, wohin er mit der Kerze in der Hand gerannt war.
    Miss Slowboy, die von irgendeiner geheimnisvollen Anspielung auf den alten Herrn überzeugt war und in ihrer verwirrten Phantasie gewisse Verbindungen religiöser Natur zu diesen Worten zog, war dermaßen beunruhigt, daß sie sich hastig von ihrem niedrigen Stuhl am Feuer erhob, um am Rockzipfel ihrer Herrin Schutz zu suchen, und als sie im Torweg mit einem hochbetagten Fremden in Berührung kam, machte sie unwillkürlich einen Sturmangriff auf ihn und stieß mit der einzigen Waffe, die sich in ihrer Reichweite befand, nach ihm. Dieses Instrument, das zufällig das Baby war, beschwor große Verwirrung und Bestürzung herauf, die Boxers Scharfsinn noch zu steigern schien; denn dieser gute Hund, der umsichtiger als sein Herr war, hatte, wie es schien, den alten Herrn beim Schlafen bewacht, damit er nicht mit ein paar jungen Pappeln davongehen konnte, die hinten auf dem Wagen festgebunden waren, und er folgte ihm noch immer dicht auf den Fersen, indem er die Gamaschen tatsächlich nicht in Ruhe ließ und verbissene Angriffe auf die Knöpfe machte.
    „Sie sind ein so unbestritten guter Schläfer“, sagte John, als wieder Ruhe eingetreten war (inzwischen hatte der alte Herr barhäuptig und regungslos in der Mitte des Zimmers gestanden), „daß ich beinahe Lust hätte, Sie zu fragen, wo die andern sechs sind – nur, das wäre ein Scherz, und ich weiß, der könnte es verderben. Bin sehr nahe dran“, murmelte der Fuhrmann, in sich hineinlachend, „sehr nahe dran!“
    Der Fremde, der langes weißes Haar, gute Gesichtszüge, die außergewöhnlich kühn und klar gezeichnet waren, sowie dunkle, strahlende, durchdringende Augen hatte, blickte lächelnd um sich und begrüßte die Frau des Fuhrmanns, indem er sich würdevoll verneigte.
    Seine Kleidung war sehr komisch und ausgefallen und weit hinter der Mode her. Ihre Farbe war durchweg braun. In der Hand hielt er einen großen braunen Knüttel oder Spazierstock, und als er ihn auf den Boden schlug, fiel er auseinander und wurde zu einem Stuhl, auf den er sich ganz gelassen setzte.
    „Da!“ sagte der Fuhrmann, sich an seine Frau wendend. „So fand ich ihn, wie er am Straßenrand saß. Grade wie ein Meilenstein. Und fast genauso taub.“
    „Unter freiem Himmel, John?“
    „Unter freiem Himmel“, antwortete der Fuhrmann. „Grade zur Dämmerung. ‚Fahrt ist bezahlt‘, sagte er und gab mir achtzehn Pence. Dann stieg er ein. Und da ist er.“
    „Er wird gleich gehen, John, glaub ich!“
    Das war durchaus nicht der Fall. Er wollte nur gerade etwas sagen.
    „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich bleiben, bis ich abgeholt werde“, sagte der Fremde sanft. „Lassen Sie sich durch mich nicht stören.“
    Damit holte er eine Brille aus einer seiner großen Hosentaschen und ein Buch aus der anderen und begann gemächlich zu lesen. Er behandelte Boxer nicht anders, als wäre er ein sanftes Lamm.
    Der Fuhrmann und seine Frau tauschten erstaunte Blicke. Der Fremde hob den Kopf, schaute von einem zum anderen und fragte:
    „Ihre Tochter, guter Freund?“
    „Ehefrau“, erwiderte John.
    „Nichte?“ fragte der Fremde.
    „Ehefrau“, brüllte John.
    „Wirklich?“ bemerkte der Fremde. „Ganz bestimmt? Sehr jung!“
    Ruhig blätterte er um und nahm seine Lektüre wieder auf. Doch ehe er zwei Zeilen gelesen haben konnte, unterbrach er sich und fragte: „Ihr Baby?“
    John nickte ihm lebhaft zu, was einer bejahenden Antwort entsprach, die durch ein Megaphon gegeben wurde. „Mädchen?“
    „Jun-ge!“ brüllte John.
    „Auch sehr jung, wie?“
    Mrs. Peerybingle mischte sich sofort ein. „Zwei Monate und drei Tage! Grade vor sechs Wochen geimpft. Ist ihm sehr gut bekommen! Der Arzt hielt ihn für ’n bemerkenswert schönes Kind. Er ist so weit wie Durchschnittskinder, wenn sie fünf Monate alt sind. Er nimmt Notiz, einfach wunderbar! Wird Ihnen unmöglich erscheinen, aber er ist schon ein richtiger Junge!“
    Hiermit hielt die atemlose kleine Mutter, die diese kurzen Sätze dem alten Mann ins Ohr geschrien hatte, bis ihr hübsches Gesicht hochrot war, das Baby wie eine