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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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an den Tisch und schaut auf Henriettes
     Hintern. Dann auf Elisa und dann auf den Küchenboden. Elisa ist entzückt. Ein schüchterner Baumhausgeliebter, das gefällt
     ihr. Zumal sie am Rücken ihrer Mutter sehen kann, dass die mehr als verlegen ist. So gut kennt sie Henriette, um zu wissen,
     was diese leicht hochgezogenen Schultern, zwischen denen sich der Rücken rundet, zu bedeuten haben.
    Irgendwann haben sie uns hier die Grundstücke angeboten. Nach der Wende, ihr wisst ja. Die Gemeinden haben ihr Eigentum an
     Grund und Boden verscherbelt, wenn sie meinten, daraus keinen Nutzen mehr ziehen zu können. Olaf steht auf und nimmt neue
     Tassen aus dem Schrank. Er fragt, ob jemand Hunger habe, und holt, nachdem beide Frauen verneinen, Wurst und Käse aus dem
     Kühlschrank, schneidet Brot auf und hält es dabei wie eine alte Frau an die Brust gedrückt. Elisa will sich immer mehr für
     diesen Mann begeistern.
    Alle hier oben auf dem Berg haben gekauft. Die Preise waren mehr als angemessen. Hier kann man ja auch nicht viel machen,
     bei den hohen Fichten auf den Grundstücken und dem steilen Gelände. Viele haben sich die Genehmigung geholt, drei oder vier
     Bäume zu fällen, und dann Einfamilienhäuser auf die freigewordenen Stellen gebaut. Inzwischen sind hier mehr als die Hälfte
     der Leute sesshaft. So wie ich. Du kennst sie wahrscheinlichalle noch, Henriette. Barthels ganz hinten am Ende des Weges, schräg gegenüber Michel und nebenan Schavanski mit seiner, ich
     glaube, vierten Ehefrau inzwischen.
    Henriette nickt bei jedem Namen und zaubert sich mal ein Lächeln und mal ein Stirnrunzeln ins Gesicht. Ich war so oft hier
     mit Klara und Franz. In den Sommern an fast jedem Wochenende und immer den ganzen Urlaub und alle Feiertage. Wie die anderen
     Leute hier auch. Schavanski war bei der Stasi damals. Allen hat er erzählt, dass er im Ministerium des Innern arbeite, aber
     bei solch einer Ansage wusste man ja. Kam jedenfalls öfter auf ein Bier zu uns und hat dann stundenlang mit Franz diskutiert.
     Klara gefiel das nicht so. Sie hat Franz hin und wieder gebeten, vorsichtig zu sein mit dem, was er sagte. Und Franz hat dann
     gelacht und gesagt: Die wissen doch sowieso genau, was wir denken und was uns aus dem Hintern kommt. Denen brauchst du gar
     nichts zu erzählen, Klara. Die können Gedanken lesen. Damit war es dann auch immer gut.
    Henriette schweigt und schaut Olaf an. Und schaut und schaut, bis Olaf sagt: Meine Eltern waren beide da. Bei der Firma. Das
     hat ihnen später das Leben schwergemacht. Und mir haben sie gesagt, sie hätten mit Wirtschaftsspionage zu tun gehabt. Patentklau
     und solche Sachen. Was weiß ich. Habe auch nicht nachgefragt, das stand mir nicht zu. Ich hatte ein üppiges Leben als Kind.
     Für dieses Land hier ein sehr üppiges. Da fragt man dann später nicht, wie es zustande kam. Ich jedenfalls nicht.
    Jetzt kommt er schon wieder ins Tausendste, denkt Elisa und kippt drei Löffel Zucker in den Kaffee. Was hat die Stasi mit
     denen nebenan zu tun, die in unserem Häuschen gelebt haben und dann verschwunden sind. Henriette steht auf und legt Olaf eine
     Hand auf die Schulter. Da mach dir mal keine Vorwürfe. Nachgefragt haben wir allenicht. Oder zu wenig. Klara hat mir mal gesagt, als ich sie fragte, ihr wäre es egal, wo der Franz im Krieg gewesen sei. Schließlich
     sei er vor dem Krieg ein guter Mensch gewesen, also wird er auch mittendrin einer geblieben sein. Und da hat sie ja vielleicht
     auch recht. Obwohl. Henriette schweigt und sieht zu Elisa. Obwohl Klara selbst.
    Elisa fragt sich zum wiederholten Mal, warum Henriette diese Art hat, Sätze anzufangen und nicht zu Ende zu bringen. Und meist
     haben diese Sätze was mit Klara zu tun. Was willst du sagen, Mutter? Die Frage fällt schärfer aus als gewollt. Elisa ist selbst
     verblüfft. Aber irgendwann einmal muss Henriette doch rausrücken mit Klaras Schuld. Henriette sieht ihre Tochter erschrocken
     an. Ihre Tochter, die plötzlich alles wissen will und nicht loslässt. Als sei es heute lebenswichtig, was Klara mal getan
     hat. Als sei es eine Frage des Lebens. Doch nicht für Elisa.
    Also, wo sind denn nun die Leute hier geblieben, die in den Möbeln meiner Eltern gelebt haben? Henriette geht so schnell zum
     nächsten Thema, dass Elisa ihre Niederlage erkennt. Und sieht, dass ihre Mutter ganz und gar außer sich ist. Sie hat diesen
     typischen knallroten Fleck auf der Stirn. Den bekommt sie immer, wenn ihr etwas

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