Alle Zeit - Roman
nahegeht. Elisa nimmt kurz Henriettes Hand
und tastet mit dem Daumen hoch ans Gelenk, wo der Puls zu fühlen ist. Sie rast ja, denkt sie und sieht ihrer Mutter ins Gesicht.
Darüber will ich nicht reden, fleht die leise und drückt Elisas Hand. Nicht hier.
Wir haben sie gesucht und suchen lassen. An Olaf ist er vorbeigegangen. Der kurze Moment der Aufregung. Er erzählt weiter,
als bliebe alles nur so im Fluss. Wenn er jetzt einfach immer weiter spricht. Wegen des Grundstücks, das noch übrig war, nachdem
alle ihre Quadratmeter von der Gemeinde gekauft hatten, haben wir sie gesucht. Die von der Gemeinde haben gesagt, nach zehnoder fünfzehn Jahren wäre es vorbei mit dem Nutzungsrecht. Wenn sich bis dahin niemand gemeldet hätte, könnte man mit dem
Grund und Boden so verfahren wie mit den anderen Grundstücken. Die müssten jetzt also rum sein, wenn ich es bedenke. Ihr könntet
wahrscheinlich kaufen, Henriette. Bist du deshalb hergekommen?
Sie schüttelt den Kopf. Das nun wirklich nicht. Eine Reise in die Vergangenheit, am Ende langen Haderns, aber nicht etwa ein
Neuanfang auf alten Gleisen. Elisa springt ihrer Mutter bei, die vor dem hoffnungsvoll törichten Lächeln von Olaf schon kapituliert
zu haben scheint. Wir wollten nur schauen, wie es heute aussieht. Mehr nicht. Eine Erinnerungsreise, damit wir es dann dabei
belassen können. Am Haus liegt uns nichts.
Das gefällt dem Baumhausgeliebten ihrer Mutter nicht. Er hat gehofft. Ein wenig jedenfalls. Ist noch ziemlich stabil, die
Hütte. Zumindest das Fundament. Und das Grundstück eines der schönsten hier. Deshalb wollten ja einige nicht die fünfzehn
Jahre warten und haben schon vorher Angebote gemacht. Und gesucht. Dieses Ehepaar, von dem wir dann nicht mal wussten, ob
es noch ein Ehepaar war, hatte der Erdboden verschluckt. Der Bürgermeister hat es auf ganz offiziellem Weg versucht. Nichts.
Dann haben wir zusammengelegt und zwei Suchannoncen geschaltet. Irgendjemand hier ist sogar auf den Einfall gekommen, einen
Privatdetektiv zu beauftragen. Hat ganz schön viel Geld dafür hingelegt. Weg. Die waren und sind einfach weg.
Elisa redet in ihre Kaffeetasse, dass man es eigentlich nicht glauben könne in diesem Land hier, da verschwinde doch niemand
spurlos. Und denkt dabei an ihren Bruder, der ihr heute so oft in den Sinn gekommen ist wie sonst in zwei Monaten nicht. Der
ist schließlich auch verschwunden, ganz und gar. Obwohl sich Elisa manchmalnicht sicher ist, ob Henriette ebenso ahnungslos ist, was seinen Aufenthaltsort anbelangt. Oder der von Klara. Vielleicht
weiß sie alles, denkt Elisa und schaut auf Henriette, die angefangen hat, Brote zu schmieren, als sei das hier ein Ferienlager.
Henriette macht in ihrer Verlegenheit seit jeher die unsinnigsten Dinge. Jetzt stapelt sich auf einem flachen Teller ein Turm
aus belegten Klappbroten.
Elisa nimmt Henriette das Messer aus der Hand und legt es in die Spüle. Erst da hört die auf, sich manisch abzulenken vom
Geschehen, und legt die Hände wieder in den Schoß. Olaf greift tatsächlich zu und verschlingt ein Klappbrot mit zwei Bissen,
als sei er völlig ausgehungert.
Doch, es ist schon möglich. Auch hier, murmelt er mit vollem Mund und greift nach dem nächsten Brot. Wir jedenfalls haben
sie nicht gefunden. Weder tot noch lebendig. Vielleicht ist der Ehemann mit seiner lustigen blonden Witwe auf eine Insel gegangen.
Und die Ehefrau hat sich dann wieder verheiratet und heißt jetzt anders.
So also reimt er sich die Geschichte zusammen, denkt Elisa und lächelt. Der Mann auf einer Insel mit seiner Geliebten und
die Frau tot oder wieder verheiratet. Henriette steht auf und macht verstohlen Zeichen. Wir müssen jetzt, sonst wird es ja
dunkel, und der Weg, das Hotel. Sie ist wieder ganz und gar verlegen, als hätte Olaf sie gefragt, ob sie bei ihm übernachten
möchte, und sie wüsste nicht, wie sie es ablehnen soll.
Henriette. Olaf steht hastig auf und reißt dabei seine Kaffeetasse vom Tisch. Ich könnte morgen ins Dorf kommen, ins Hotel,
zum Kaffee oder so.
Elisa nickt ihm zu und findet die Vorstellung schön, ihre Mutter für ein paar Stunden aus den Augen lassen zu können. Morgen
Nachmittag. Heute Abend wird sie noch mit den Hanullern und Henriette verbringen. Aber morgen einige Stunden allein. Doch,
das gefällt ihr. Undda fällt dann auch Henriette nichts mehr ein, was dagegen spräche. Sie nickt Olaf zu und gibt ihm tatsächlich einen
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