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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
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grimmig, während sich Michaels Freundin in ein Kochbuch vertieft. Ich halte ja gar nichts von Leuten, die nach Rezept kochen. Ich finde das unkreativ und feige. Aber vielleicht ist Michael ganz begeistert davon. Vielleicht denkt er an die unzähligen Male zurück, die er mich zum Essen ausführen musste, weil ich mal wieder etwas Ungenießbares fabriziert hatte und ist froh, dass er mit seiner Neuen eine Menge Geld spart. Wenn er ihr dafür dann aber solche Schnäppchen wie die dämliche Handtasche spendieren muss,
kommt er auch nicht besser dabei weg, denke ich böse, als die Musik plötzlich erstirbt und der iPod stattdessen sirrende Geräusche von sich gibt. Akku leer, frage ich mich, als die Fremde danach greift und sich das Gerät ans Ohr hält.
    »Hallo?« Hä? »Hey, du bist es. Ich hab gerade an dich gedacht«, sagt sie nach einer Sekunde, während ich langsam begreife, dass man anscheinend heute mit einem MP3-Player telefonieren kann. Langsam kommt es mir so vor, als wäre ich schon seit Jahrzehnten tot, und dabei sind es doch erst sechs Jahre. »Ich dich doch auch«, höre ich sie gurren und es durchfährt mich wie ein Blitzschlag. Michael! Er ist am anderen Ende der Leitung. »Ja, ich bin schon zu Hause.« Zu Hause? Was soll das heißen?
    »Das hier ist mein Zuhause«, fahre ich sie an, ohne dass sie auch nur mit der Wimper zuckt. »Michael«, rufe ich dann in den Hörer, »kannst du mich hören?« Aber der säuselt derweil Liebesbezeugungen, und sie gelten nicht mir. Angewidert trete ich einen Schritt zurück und betrachte die Frau, die da lässig gegen den Küchentresen gelehnt steht und mit meinem Mann flirtet. »Hör auf damit«, sage ich und versuche, all meine Energie in meine Worte zu legen. Um sie zu erreichen. Wenn ich doch wenigstens den Einführungskurs »Kommunikation mit den Lebenden« gemacht hätte. Reine Konzentration bringt es jedenfalls nicht. Weder stellen sich die Haare in ihrem Nacken auf, noch nimmt sie irgendwie von mir Notiz. Stattdessen lauscht sie Michaels Worten und lässt ein glockenhelles Lachen erklingen. »Na warte«, sage ich böse, »wer zuletzt lacht, lacht am besten.«

    Nachdem ich das Haus verlassen habe, bleibe ich mitten auf dem Bürgersteig stehen. Es ist ein unangenehmes Gefühl, wenn die Passanten so einfach durch einen durchrennen, aber ich kann mich nicht entschließen, mich zu bewegen. Denn dann müsste ich mich schließlich für eine Richtung entscheiden. Und ich weiß nicht, wohin. Also bleibe ich erst mal, wo ich bin. Spüre die Passiermünze kalt an meinen Fingerspitzen, die ich in die Tasche meines Kleides geschoben habe. Natürlich, zurück nach oben. Das ist das einzig Richtige. Übermorgen komme ich wieder her, hole Michael und bringe ihn zu mir nach Hause. Großmütig darüber hinwegsehend, dass er sich hier unten eine neue Freundin zugelegt hat. Statt was zu tun? Die nächsten fünfzig Jahre wie ein Mönch zu leben? Habe ich das wirklich erwartet? Ehrlich gesagt, ja! Ich beginne nun doch zu laufen. Setze einen Fuß vor den anderen, scheinbar ziellos, bis ich vor Michaels Büro stehe. Und wenn ich schon mal hier bin, gehe ich natürlich rein. Wieso auch nicht? Am Empfangstresen bleibe ich stehen und lächele Andrea Sommer an, die mittlerweile ihre dunklen Haare kurz trägt. Sie sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen in ihrem Sessel und telefoniert. Mit einem ganz normalen Telefon und nicht mit einer Musikanlage oder einem Toaster oder sonst was. Das beruhigt mich.
    »Hallo Andrea«, grüße ich sie freundlich, obwohl sie mich natürlich weder sehen noch hören kann. »Stehen dir gut, die kurzen Haare. Ich bin hier, um Michael zu besuchen, er ist doch bestimmt in seinem Büro, nicht wahr? Ich geh einfach mal durch«, plappere ich. »Sag mal, wie findest du denn seine neue Freundin? Ah, verstehe, du denkst also auch, dass sie eine blöde Kuh ist?
Nichts Ernstes? Ah, nur was fürs Bett? Ja, das habe ich mir gleich gedacht!«, spinne ich weiter und fühle mich dadurch tatsächlich ein kleines bisschen besser. »Hey, Benjamin, wie geht’s denn so?«, nicke ich Michaels Kollegen auf dem Weg noch zu, bevor ich das Büro betrete.
    Es haut mich fast um, wie gut Michael aussieht. Ich trete schüchtern näher und sehe ihn zärtlich an.
    »Hallo, Michael«, flüstere ich. Er ist ein bisschen älter geworden, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, seine Haare sind an den Schläfen von grauen Strähnen durchzogen. Irgendwie macht ihn das noch attraktiver.

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