Allein auf Wolke Sieben
bedrucktes Papier auszuspucken beginnt.
»Ach, es ist …« … nichts, will ich eigentlich sagen, doch einer plötzlichen Eingebung folgend fahre ich fort: »… es ist nur, ich fühle mich wie ein Versager.« Verdutzt sieht er mich an und ich fahre fort: »Seit fünfeinhalb Jahren bin ich Helfer und habe meine Aufträge immer zur vollsten Zufriedenheit des Chefs erledigt. Und nun komme ich heute wieder nach oben und habe …« Ich lasse meine Stimme brechen. »Fünfeinhalb Jahre ohne einen Fehler«, setze ich neu an und schüttele scheinbar fassungslos den Kopf. Dann linse ich unauffällig rüber zu meinem Gegenüber, dessen Gesichtsausdruck sich verändert hat. Er guckt jetzt nicht mehr streng, abweisend, verurteilend. Wusste ich doch, da habe ich ins Schwarze getroffen. Der Insasse dieses Büros, in dem alles rechtwinklig angeordnet zu sein scheint, verachtet jede Art von Fehler. Weil genau das seine größte Angst ist.
»Dieser Fehler lag ja nicht bei Ihnen«, sagt er beinahe freundlich, »sondern bei Berger.«
»Schon, aber Sie haben es ja selber gesagt. Vielleicht hätte ich mehr um Andreas Seidel kämpfen müssen. Ich habe versagt«, kasteie ich mich selbst.
»Nun, nun, wenn Sie doch keine Chance hatten …«
»Wenn ich gut in meinem Job wäre, dann hätte ich ihn mitgebracht«, jaule ich auf und kann Kehler anmerken, dass sein Stresspegel erheblich ansteigt.
»Bitte beruhigen Sie sich doch«, sagt er hilflos und legt mir mehrere Dokumente zur Unterschrift vor.
»Aber das ist noch nicht alles«, greine ich, während ich meinen Namen auf die dafür vorgesehene Linie kritzele.
»Was denn noch?« Ich krame in meiner Kleidertasche nach dem goldenen Umschlag, den ich seit vier Tagen immer bei mir habe und werfe ihn mit einem gekonnten Aufschluchzen auf die spiegelblanke Schreibtischplatte. »Was ist das?«, erkundigt sich Kehler misstrauisch.
»Das ist mein nächster Auftrag«, flüstere ich so leise, dass er sich zu mir herüberbeugen muss, um jedes Wort zu hören, »und darin steckt schon wieder ein Fehler.«
»Was? Wie meinen Sie das?«
»Ein Fehler«, sage ich laut und deutlich. »Ein hässlicher, unverzeihlicher, alles kaputt machender Fehler.« Ich merke, wie er bei jedem einzelnen Wort zusammenzuckt. »Dieser Mann soll morgen Abend in einem Restaurant einen Nachtisch mit Nüssen essen und an einem allergischen Schock sterben. Nur dass dieser Mann gegen Nüsse überhaupt nicht allergisch ist. Sondern gegen Nektarinen.«
»Ach ja?«, fragt Kehler und beäugt mich misstrauisch. »Und woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es, weil ich unten mit diesem Mann verheiratet war.«
»Tatsächlich?« Ich nicke heftig mit dem Kopf und er zieht den Auftrag ein Stück näher zu sich heran, dann tippt er wiederum etwas in den Computer ein.
»Schon wieder Berger«, murmelt er. »Der Mann stellt einen Rekord auf.« Mir kriecht das schlechte Gewissen den Rücken hinauf, als ich das boshafte Grinsen meines Gegenübers sehe. Schließlich hat der zuständige Sachbearbeiter in Michaels Fall ja überhaupt keinen Fehler gemacht. Unauffällig linse ich hinüber zu der Gebotstafel, die, wie in jedem Büro des Konzerns, silbern umrahmt neben der Tür hängt.
DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN, leuchtet es mir an achter Stelle entgegen.
»Nun ja, es ist doch nur ein winziger Fehler«, versuche ich Kehler zu beschwichtigen, »ansonsten ist der Fall exzellent vorbereitet und …«
»Exzellent nennen Sie das?«, fährt er mich an. »Ich nenne das schlampig und stümperhaft.«
»Aber Nüsse und Nektarinen …«
»… kann man nun wirklich nicht so leicht verwechseln.«
»Immerhin haben sie den gleichen Anfangsbuchstaben«, wage ich noch einzuwerfen, bevor sein strafender Blick mich zum Schweigen bringt.
»Außerdem hat der Kollege einen weiteren unverzeihlichen Fehler begangen«, fährt er fort. »Sie hätten mit dem Auftrag gar nicht betraut werden dürfen, als frühere Ehefrau besteht da ein Interessenkonflikt.«
»Aber nein, das ist schon in Ordnung«, protestiere ich lahm.
»Nichts ist in Ordnung. Das können Sie gar nicht
beurteilen, Sie sind emotional viel zu involviert.« Damit greift er nach dem Auftrag, der immer noch zwischen uns auf dem Tisch liegt. Instinktiv schnellt meine Hand nach vorne, ich bekomme gerade noch die andere Ecke der Karte zu fassen. Verbissen sehen wir einander in die Augen. »Lassen Sie los«, fordert er mich auf, »ich werde dafür sorgen, dass jemand anderes
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