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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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dachte sie im Stillen, nein, das war kein Fuchs. Diese Kreatur hatte ausgesprochen bösartig ausgesehen. Und sonderbar. Wie ein Höllenhund.

Kapitel 16 Callie
    Verdammte U-Bahn.
    Ich komme zu spät. An meinem zweiten Arbeitstag.
    Diesmal gibt es wirklich eine Signalstörung, an King’s Cross. Ich springe aus der schnellen Victoria Line und renne zur Piccadilly Line hinüber. Ich schaue auf die Uhr. Eine Katastrophe! Mit der Piccadilly Line sind es acht Haltestellen statt fünf; ich muss am Piccadilly Circus aussteigen und brauche von dort zum Studio fünf Minuten länger. Das Ganze wird noch schlimmer, weil alle an King’s Cross dieselbe Idee haben und ich mich in einen überfüllten Zug quetschen muss, wo ich nur noch am offenen Fenster der Verbindungstür zwischen zwei Waggons einen Platz finde. Sobald der Zug anfährt, trifft mich ein Windstoß, der meine Haare zu einer Art Afghanenfrisur nach vorn pustet – sehr zur Erheiterung der beiden Jungs mir gegenüber.
    Ich mache die Augen zu, damit mir keine Haare hineinwehen, und denke an Rae.
    Ihretwegen komme ich zu spät.
    Gleich, nachdem ich sie um halb acht geweckt habe, hat sie mit trotzig vorgeschobenem Kinn erklärt: »Ich gehe nicht in den Hort.«
    Ich starrte sie an. Was ist denn in sie gefahren?
    »Also wirklich, Rae«, stotterte ich, »du musst aber. Ich arbeite heute.«
    »Das ist nicht fair«, schrie sie plötzlich. »Ich hasse dich. Und ich steh nicht auf.«
    Ich war so entsetzt, dass ich in die Küche ging und Sandwiches für die Arbeit machte. Als ich Rae schließlich mit dem Angebot von Pfannkuchen aus dem Bett locken konnte, verkündete sie, die Schulbluse, die ich ihr gerade gekauft hatte, sei »zu eng«. Plötzlich. Dann wollte sie die Pfannkuchen nicht essen und bestand stattdessen auf Porridge. Aber ihre Glanznummer hob sie für den Schluss auf. Als ich sie schließlich so weit hatte, dass sie zum Zähneputzen ins Bad ging, ließ sie »versehentlich« ihre Stoffpuppe mit dem Plastikkopf und den Plastikarmen ins Klo fallen und spülte runter, bevor ich eingreifen konnte.
    »Was machst du denn da, Rae?«, schrie ich, als das Wasser in der Kloschüssel hochstieg und nicht ablaufen wollte. Die Puppe war verschwunden, nur ein rosa Plastikfinger ragte noch aus der Krümmung hervor, den ich aber, wie es sich immer so vortrefflich fügt, nicht zu fassen bekam.
    Rae zuckte nur mit den Achseln. Ich war so verwirrt, dass ich wortlos mit ihr zur Schule marschierte und sie bei ihrer Lehrerin, Ms. Aldon, ablieferte. Ich gab mir Mühe, nicht verletzt zu sein, als Rae mir den Abschiedskuss verweigerte.
    Und jetzt komme ich zu spät zur Arbeit und mache mir Sorgen um Rae. Ich habe vergessen, Ms. Aldon vorzuwarnen, dass Rae Theater wegen des Horts gemacht hat, und ich habe keine Ahnung, wo ich einen Klempner auftreiben soll, der das Klo wieder in Ordnung bringt.
    Ich springe am Piccadilly Circus aus der Bahn und schlage mich sofort zu den Schleichwegen abseits der Regent Street mit ihren Touristenströmen durch, zu den Hintergässchen Sohos mit den Sexläden und Marktständen; ich hoffe nur, dass ich von hier aus zur Wardour Street finde.
    »Jetzt gib aber Gas, Cal!«, ruft mir Guy aus seinem verglasten Büro entgegen, als ich bei Rocket zur Tür hereinsause, die Haare noch vom Zug zerzaust und jetzt auch noch vom Vormittagsregen gekräuselt. »Er ist schon seit zehn Minuten da.« Guys warme braune Augen sind gefährlich verdunkelt. Ich habe zwar fünf Jahre pausiert, kenne aber immer noch die Spielregeln. In unserer Branche ist der Kunde König. Und wer zu einem Termin mit dem König zehn Minuten zu spät kommt, lässt es am nötigen Respekt mangeln.
    »Tut mir furchtbar leid«, flüstere ich, als ich in Guys Büro haste und suchende Blicke um mich werfe, wo ich meinen Mantel ablegen kann.
    »Gib her.« Megan ist hereingekommen und nimmt ihn mir ab. »Kaffee?«
    Ich nicke dankbar.
    »Gehen wir«, sagt Guy knapp.
    Wir betreten den Kunden-Vorführraum, der mit luxuriösen Kinosesseln und einem riesigen Plasmabildschirm prunkt, wo in Endlosschleife die neuesten hochkarätigen Aufträge des Studios laufen: im Moment der Werbespot einer japanischen Autofirma.
    Als ich hereinkomme, steht Parker auf und empfängt mich zu meiner Erleichterung mit einem strahlenden Lächeln. Ich erkenne ihn wieder, habe ihn in einer Kunstsendung der BBC gesehen. Er ist groß und schlank, hat kaffeebraune Haut, verblüffend blaue Augen und fein geflochtenes Afro-Haar; zu seinem

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