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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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nötig, sie zu machen. Ich weiß, es klingt verrückt, aber damals gab es ja sonst nicht viel zu tun.«
    Gewiß hatten die Adirondacks reichlich Zeit, »gemacht zu werden«: 1,1 Milliarden Jahre. Sie gelten als einer der ältesten Gebirgsstöcke der Welt. Aufgebaut sind sie aus Gneisen und Tiefengesteinen. Die Oberflächenformen sind allerdings viel jünger. Die heutige Landschaft, wie sie sich aus dem Flugzeug darbietet, resultiert im wesentlichen aus der letzten Eiszeit, deren Gletscher sich vor zehntausend Jahren aus diesem Gebirge zurückzogen. Sie schliffen Täler aus, ritzten Rillen in Bergkuppen, hinterließen Sandterrassen und Gerölldämme, meißelten Kare aus und ließen mehr als zweitausend Seen und Weiher entstehen. Daß die Adirondacks den gewaltigen Hobelangriffen der Eiszeiten und langen Erosionsphasen widerstanden haben, legt Zeugnis für ihre Widerstandskraft ab. Es muß sich um eines der kompliziertesten und herausforderndsten geologischen Werke der Welt handeln, dachte ich, als ich meine Augen über den Horizont schweifen ließ.
    Die Maschine hatte Südostkurs eingeschlagen. Nun begann ich, Aufnahmen von den goldenen und purpurnen Bergen um den Lake George zu machen, die von Eichen, Hickorys und Eschen bestanden waren. Dutzende von kiefernbedeckten Inselchen sprenkelten den einundfünfzig Kilometer langen See. Ich sehnte mich danach, dort hinabzugleiten, neben einem Inselchen zu landen und ein Lager aufzuschlagen. Das Gedröhn des Motors und das Heulen des Fahrtwindes am offenen Fenster rissen an meinen Nerven.
    Noch ein paar Minuten, und wir überflogen auf Westkurs den Ort Tahawus. Eine häßliche schwarze Narbe klaffte im bunten Waldlaub. »Das ist die Titan-Mine der National Lead Company, wahrscheinlich die größte der Welt«, rief der Pilot. »Der alte Tagebau da unten ist zweihundert Meter tief und einen Kilometer lang. Wie tief der neue Tagebau ist, wo sie im Augenblick arbeiten, weiß ich nicht.«
    Er wies in Richtung des Gore Mountain, der mit seinen Skipisten im scharfen Licht gut sichtbar war. »Dort drüben liegen die Benson-Minen«, fügte er hinzu. »Von dort kommt der größte Teil des Granats, der in unserem Land verbraucht wird.«
    Nick tippte mir auf die Schulter und blickte vielsagend auf die Uhr. Eine Stunde und fünfzehn Minuten waren wir schon in der Luft, und der Pilot machte keine Anstalten, zum Black Bear Lake zurückzukehren. Im Geist ließ ich die verflogenen Minuten wie Geldstücke in eine Registrierkasse klingeln. Ich lehnte mich zum Piloten und schrie ihm ins Ohr: »Wir sollten allmählich umkehren.«

    Er schrie zurück: »Macht euch keine Sorgen wegen der Zeit. Ich find’ den Flug toll. Habe nicht oft Gelegenheit, bei solchem Wetter so weiträumig zu fliegen. Mache sonst meistens Spritztouren mit Touristen um Lake Serene herum. Die schlafen jetzt noch oder sind in der Kirche, deshalb werde ich vor zehn keine Anrufe kriegen. Es reicht, wenn ich bis dahin zurück bin. He, ich zeig’ euch jetzt mal was Großartiges. Haltet die Kameras bereit.«
    Er ging wieder auf Nordkurs in Richtung High Peaks, aber in niedriger Flughöhe. »Kleiner Tiefflug über dem Avalanche Lake!«
    Gespannt wartete ich, die Kamera schußbereit. Der Avalanche Lake ist einer unserer höchsten, wildesten und entlegensten Seen. Der einzige Zugang führt durch eine schmale Schlucht und mündet in einen Wanderweg aus Laufstegen, Leitern und Bretterbrücken am Westufer des Sees. Das Wasserflugzeug steuerte mitten zwischen zwei Bergen hindurch, und ich erhaschte einen Blick auf einen onyxschwarzen See, eingezwängt zwischen nackte Felswände, ein Bild wie aus den Rocky Mountains und nicht aus den Adirondacks. Hart nach oben ruckend, kletterte das Flugzeug über dem gewundenen, schattigen Avalanche Paß wieder steil in den Himmel. Gerade für zwei Bilder hatte die Zeit gereicht.
    »Wie geht’s dir, Anne?« rief Nick und beugte sich vor.
    »Möchtet ihr Kaffee?« schrie der Pilot.
    »Wo ist die Speitüte?« stöhnte ich.
    »Harrt bis zum Long Lake aus«, antwortete der Pilot. »Ich kann dort direkt neben einer Cafeteria landen. Es geht Ihnen gleich wieder besser, wenn Sie festen Boden unter den Füßen spüren.«
    Als wir in weitem Bogen hinunterschwenkten zu einer samtweichen Landung auf dem Long Lake, begann sich mein Magen wie prophezeit zu beruhigen. Es war neun Uhr. Wir machten die Maschine an einem Landesteg fest und gingen das Ufer hinauf in ein kleines Restaurant an der Straße. Erstes Leben

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