Allein in der Wildnis
während er zum Lagerplatz rannte. Sie würden ihn hier herausholen, noch heute Abend, und er würde mit seinem Vater am Tisch sitzen und essen und ihm alles erzählen, was er erlebt hatte. O ja, er sah es ganz deutlich vor Augen, während seine Beine federnd über das sonnenwarme Gras flogen. Am Lagerplatz angekommen, konnte er das Motorbrummen noch immer hören. Und zum Glück brannte das Feuer in seiner Hütte noch.
Kopfüber tauchte er durch die Tür, packte ein flammendes Holzscheit und lief zur anderen Seite der Klippe, dorthin, wo der Felsen flacher war, und kletterte flink wie eine Katze hinauf. Vor dem Holzstoß kniend, blies er in die Flammen, bis das Feuer hoch aufloderte. Aber das Dröhnen des Motors war schwächer geworden.
Ganz plötzlich war es verstummt, als sei das Flugzeug umgekehrt. Mit der Hand seine Augen abschirmend spähte Brian zum Himmel, zum Horizont. Aber die Bäume ringsum waren so hoch, ihre Wipfel so dicht, dass er das Flugzeug nicht sehen konnte. Nur noch von fern tönte ein schwaches Brummen. Brian warf sich auf die Knie und blies in die Flammen und warf Grasbüschel und Späne dazu, bis das Feuer hoch aufloderte. Doch das Motorengeräusch war verklungen.
Schau dich doch um!, flehte Brian dem unbekannten Piloten nach. Sieh meine Rauchzeichen, bitte, und kehre um.
»Schau dich um!«, rief er laut. Die Panik vertrieb all die schönen Bilder, die er sich ausgemalt hatte. Das Gesicht seines Vaters löste sich auf – wie die Hoffnung, wie ein vergeblicher Traum. Oh, bitte kehr um. Schau dich um und sieh den Rauch meines Notsignals …
Keine Antwort kam aus der blauen Unendlichkeit, die Brian umgab. Das Motorengeräusch kam nicht wieder, die Hoffnung blieb kalt. Brian stand auf der Klippe über dem See, sein Gesicht glühend vom prasselnden Feuer, und schaute der Rauchsäule nach, die vergeblich zum Himmel stieg, und wusste endgültig, dass er diese Wildnis nie mehr verlassen würde. Niemals.
Es war ein Suchflugzeug gewesen, das wusste er. Die Retter waren gekommen und hatten nach ihm gesucht, weitab von der ursprünglichen Flugroute. Und als sie nichts fanden, waren sie umgekehrt. Sie hatten sein Rauchsignal nicht gesehen und seinen Hilfeschrei nicht gehört. Sie würden nicht wiederkommen. Und nie würde er in die Welt zurückkehren.
Brian fiel auf die Knie und ließ seine Tränen fließen. Heiß brannten sie auf seinen rußverschmierten Wangen und fielen stumm auf den nackten Fels.
Vorbei, dachte er. Vorbei war die alberne Hoffnung. Was nützten jetzt Speer und Pfeil und Bogen; was nützten Fische und Himbeeren! All dies war ein albernes Kinderspiel. Ein paar Tage lang konnte er überleben – aber nicht für immer. Es hatte alles keinen Sinn, wenn die Retter nicht eines Tages kamen.
Denn ohne Hoffnung konnte er dieses Spiel nicht spielen. Ohne Traum hatte es keinen Zweck. Und jetzt war ihm alles genommen. Die Retter hatten sich abgewandt und würden nicht wiederkommen. Kein Flugzeug. Kein Wiedersehen mit Vater und Mutter. Er war verurteilt allein zu bleiben. Alles war aus und vorbei.
13
Brian stand am Rande der Bucht und beobachtete den See. Er roch das Wasser, er hörte das Wasser – das Wasser war in ihm selbst.
Ein Fisch kam an die Oberfläche. Brian schaute den kleinen Wellen nach, die sich im Kreis ausbreiteten. Aber er rührte sich nicht. Er zuckte mit keiner Wimper, auch griff seine Hand nicht nach dem Köcher, in dem seine Pfeile steckten. Dies war nicht der richtige Fisch; kein Fisch zum Essen.
Die Fische, die ihn bis heute ernährt hatten, tummelten sich näher am Ufer, im seichten Wasser. Sie waren kleiner, auch schwebten sie nicht so träge dahin, sondern bewegten sich rascher, mit flitzendem Flossenschlag. Die großen Fische schwebten irgendwo in der Tiefe und waren unerreichbar für Brian. Es war ihm egal. An diesem Morgen wollte er keine Fische fangen.
Was er fangen wollte, war einen dieser dummen Vögel.
Vielleicht waren sie auch gar nicht so dumm, diese kleinen, plumpen Waldhühner, die manchmal so lange im Gras hocken blieben, bis man mit dem Fuß auf sie trat. »Dummvögel«, so nannte Brian sie trotzdem. Ein ganzer Schwarm von ihnen lebte im Wald am schmalen Ende der Bucht.
Plötzlich war Brian erstarrt. Wie angewurzelt war er stehen geblieben und hatte den Atem angehalten. Irgendetwas hatte ihn gewarnt. So etwas war ihm schon öfter passiert in den letzten Tagen. Er wusste nicht, war es eine Botschaft, die ihn von außen erreichte, oder eine innere
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