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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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will jedenfalls gleich nach dem Backpfeifenzwischenfall schon wieder Daoist werden. Doch erstens habe ich keine Ahnung, wie das praktisch geht, und zweitens bekomme ich am Abend eine Nachricht, die mich alles andere vergessen lässt. Überbringer der Hiobsbotschaft ist eine Gruppe chinesischstämmiger Schweizer, sie sind gerade angekommen, und auf der Treppe vor dem Kloster unterhalten wir uns kurz. «Eigentlich wollten wir», sagt einer von ihnen mit schweizerdeutschem Akzent, «gar nicht nach Qingcheng. Aber für die Reise mit dem Zug nach Lhasa haben wir keine Permits bekommen. Soll sehr schwierig sein im Moment.»
    Mist, das ist genau das, was ich jetzt auf keinen Fall hören will. Ich habe nämlich seit Tagen keine Nachricht von Bart. Ans Telefon geht er auch nicht. Unter diesen Umständen kann ich unmöglich länger hierbleiben. Ich muss zurück nach Chengdu und gucken, was los ist. Auch wenn mir das «Dao De Jing» für solche Situationen zum Gegenteil rät, nämlich hübsch abzuwarten: «Der Berufene», schreibt Laozi, «macht das Nichtmachen, so kommt alles in Ordnung.»

Mein erster Yak
Der Held zahlt sehr viel Geld. Dann geht es weiter, die Landschaft wird viel größer, höher und bald auch tibetischer. Der Held stirbt mehrmals fast und begegnet seinem Todesyak. Am Ende wird ein heikles Stück Geschichte aufgearbeitet.
    Ich hätte auf Laozi hören sollen. Natürlich bringt es nichts, wieder in Chengdu rumzulungern. Bart bleibt verschollen. Ich werde nur immer nervöser und mache mir alle die Sorgen, die ich auf dem Daoisten-Berg vorübergehend vergessen hatte.
    Auch in den Fernsehnachrichten ziehen immer dunklere Wolken auf. Flut und Regen sind inzwischen die Topmeldungen. In Anhui besucht Premierminister Wen Jiabao die Flutopfer und verspricht ihnen Entschädigung. In Hubei geht der Rekordregen weiter. Mittlerweile hat es auch Chongqing erwischt. Hier wurden die höchsten Niederschläge seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen. In der City selbst wurden hundertfünfzigtausend Menschen evakuiert, und zweiunddreißig sind ertrunken. Auf einem Bild, das die Schäden illustrieren soll, erkenne ich Hong Yan Cun. Ein Erdrutsch hat die historischen Gebäude beschädigt. Es scheint, als ginge gerade alles, was ich besucht habe, in den Fluten unter, und ich überlege schon, ob ich mir ein T-Shirt drucken lassen soll, auf dem steht: «I survived the great flood of 2007».

    Am Abend des dritten Tages erreicht mich endlich eine erste SMS von Bart. Der Text jedoch ist kryptisch: «Still waiting for the permits to reach us.» Was heißt das? Dass die Genehmigungen erteilt wurden, aber noch nicht in Barts Händen sind? Dass Bart weiß, dass sie noch nicht erteilt wurden? Oder hat er schlicht keinen Schimmer? Es ist nicht rauszubekommen. Sicher ist nur, dass mein Führer eine grundsätzliche Abneigung gegen das Telefon hat.
    Um die Zeit totzuschlagen, teste ich abends die verschiedenen Ausländerbars in der Stadt. Es gibt davon eine ganze Reihe, wegen der großen Uni ist Chengdu recht beliebt bei Expats. Am dritten Abend bin ich im Süden der Stadt im Café Panamé, weil ich gelesen habe, dass hier ein «DJ Joe (Germany)» auflegt. Ich sehe ihn schon beim Reinkommen, und sofort ist mir klar, dass ich diesen Mann mag. Er will offenbar auch Chinese werden. Jedenfalls steht er in einem chinesischen Seidenbademantel an den Turntables, hat schulterlange Haare und auf dem Kopf zu einem Knoten gebunden einen Palästinenser-Feudel. Joe kommt ursprünglich aus Leipzig, vielleicht trägt er deshalb einen Namen wie im Western. Als ich ihn frage, wie er denn jetzt wirklich heiße, sagt er: «Joe, einfach nur Joe. Nichts weiter.»
    «Einfach nur Joe» legt sehr ordentlichen und sehr, sehr lauten Drum ’n’ Bass auf; genau das, was ich brauche, um mir die sorgenvollen Gedanken aus dem Kopf zu hämmern. Mehr erwarte ich auch nicht von dem Abend. Dann aber fordert mich eine kleine Frau zum Tanzen auf. Sie sieht aus wie eine chinesische Emily Strange, und bevor sie mich fragte, hat sie mich fast eine halbe Stunde lang böse angeschaut und dabei die Stirn in Falten gelegt. Als ich mir eine Zigarette anzünden will, wirft sie mir ein Feuerzeug rüber, steht dann auf und sagt: «Come on. Let’s dance.»
    Das ist mir noch nie im Leben passiert oder allenfalls in einer Zeit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Schon deshalb muss ich diesem Befehl Folge leisten, obwohl man eigentlich zu DJ Joes immer experimenteller werdender

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