Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Durchweg reich, falls jemand Zweifel hatte. Und eine ihrer Freundinnen, nach Werners Beschreibung eine jüdische Schönheit wie aus Tausendundeiner Nacht, lud ihn kurz darauf in ein exklusives Restaurant ein. Juden tun so etwas manchmal. Werner konnte nicht nein sagen. Schöne Jüdinnen weist man nicht zurück, das wäre einfach unhöflich. Und er wurde ertappt. Wie nicht anders zu erwarten war. Bei jüdischen Frauen muß man wirklich vorsichtig sein! Und damit war seine Liebesaffäre beendet.
Jüdinnen, verrät Werner mir, leben in der Park Avenue und sind unwiderstehlich.
Armer Werner. Er könnte heute mit der reichen Jüdin in der Park Avenue leben. Statt dessen trinkt er mutterseelenallein Wein in München und plaudert mit einem reisenden Juden.
»Ältere jüdische Damen«, informiert Werner diesen jüdischen Reisenden, »malen sich die Gesichter an und sehen aus wie kleine Puppen.«
Tatsächlich?
»Ja.« Und »sie sind alle im Diamantengeschäft«.
Wie gut, daß ich nicht in New York geblieben, sondern hierhergekommen bin; da erfahre ich doch mal wirklich was Neues über meine Stadt.
Eines aber wüßte ich zu gerne: Warum sprechen eigentlich so viele Deutsche mit mir über Juden? Steht irgendwo auf meiner Stirn geschrieben: Sprich mit mir über Juden?
Zugegeben: Nicht nur die Deutschen können nicht von den »Juden« lassen. Vor nur wenigen Stunden beispielsweise mußte Tausende Meilen von hier Helen Thomas, eine altgediente Berichterstatterin über das Geschehen im Weißen Haus, ihren Job an den Nagel hängen, nachdem einige ältere umstrittene Bemerkungen von ihr publik geworden waren. Die Juden »sollten zum Teufel noch mal aus Palästina verschwinden« und »nach Hause zurückkehren«, womit sie ihre wahren Heimatländer meinte, zum Beispiel Polen und Deutschland.
Ich bin in Deutschland. Vielleicht sollte ich mir einen Paß besorgen.
Sehen Sie dort drüben, auf der anderen Straßenseite in diesem meinem Heimatland, links von der verehrten Kirche, hat jemand einen Davidsstern gemalt. Graffiti, könnte man sagen. Ich habe viele von ihnen in Lodz in Polen gesehen, meinem anderen Heimatland. Dort bedeutet der Davidsstern: »Du bist ein Jude!« Wie in »Du bist ein Dieb. Du bist ein Tier.« Manchmal werden die Sterne auch um eine Lesehilfe ergänzt: »Schickt die Juden in die Krematorien« oder »Juden raus!«
Wofür der Stern hier wohl steht? Für Werners bemalte Gesichter?
Als von neuem die Sonne über dem Münchner Himmel aufgeht, sitze ich im Englischen Garten. Ich schlürfe meinen frischen Kaffee und lausche den Bäumen. Ein sanftes Lüftchen weht. Sagt NEIN, fordert ein Plakat nicht weit von mir. Sagt NEIN zum totalen Rauchverbot!
Rauchen verboten , lautete die Anweisung in Dachau.
Bald füllt sich der Englische Garten mit Kindern und Teenagern. Jetzt gibt es hier mehr Jugendliche als Bäume. Und überall Radfahrer. Die aber nett sind, nicht wie die in Hamburg. Hier sind sie nicht militant, sondern freundliche Menschen. Sie leben und lassen leben.
Ich zünde mir eine Zigarette an, nippe an meinem Kaffee und betrachte die wunderschönen Jugendlichen, die viel nackte Haut zeigen, bis sich mir ein junger Mann nähert.
»Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« fragt er mich.
Ja, warum nicht.
Er ist Filmstudent an der Uni München, sagt er, und da ich ihm als gebürtiger Bayer aufgefallen bin, würde er mich gerne für seinen Dokumentarfilm interviewen.
Ich? Gebürtiger Bayer? Wie hat er das gemerkt?
»An der Art und Weise, wie Sie aussehen, wie Sie sitzen, wie Sie an Ihrem Frühstückskaffee nippen.«
Ich habe meine Reise als Jordanier begonnen und bin jetzt ein Bayer.
Nicht schlecht. Nicht schlecht. Ich bin Deutscher! Ich möchte vor Glück am liebsten aufspringen und es aus mir herausschreien: Ich bin Deutschland!
Er heißt Jonas. Er hat schon einen Film gedreht, dies soll sein zweiter werden.
Wovon handelte der erste Film?
»Dachau.«
O Gott, nicht schon wieder!
Warum Dachau?
»Ich habe vier Jahre lang in dem KZ gearbeitet.«
Hast du Töne! Warum?
»Weil es wichtig ist.«
Ist es?
»Ja.«
Warum? Hatte Ihre Familie irgend etwas damit zu tun, mit Dachau?
Er guckt mich an, als hätte ich chinesisch mit ihm gesprochen.
Ich vermute, es hat einen Grund, warum die Pinakothek ihre Besucher instruiert, wie sie ihre Hände zu waschen haben. In München sind die Leute wohl ein bißchen, na ja, schwer von Begriff. Aber gut. Ich stelle meine Frage anders:
Wissen Sie zum Beispiel, was
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