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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Sie gerne auf dem Hintern eines Mädchens?
    »Ein kleines Herz oder einen Kuß. Große küssende Lippen.«
    Schönes Bild. Und was hätten Sie gerne auf ihren Genitalien?
    »Blumen mit Tribals.«
    Was haben Sie auf Ihrem Hintern?
    »Nichts.«
    Also ist Ihr Hintern nicht besonders sexy?
    »Nein.«
    Und was weiter?
    »Ich möchte gerne meinen gesamten Körper tätowieren lassen.«
    Das ist Ihre Lebensaufgabe?
    »Ja.«
    Einer ähnlichen Lebensaufgabe hat sich Rolf verschrieben. Rolf steht auf Piercings und hat Metallteile im ganzen Gesicht. Seine Oberlippe ist voller Piercings, die einen Metallschnurrbart bilden. Aber das ist noch nicht alles. Seine Unterlippe ist durch das Gewicht, das permanent an ihr zieht, verformt. Vorsichtig geschätzt, hat Rolf 50 bis 60 Piercings im Gesicht. Wenn man sich traut, ihn anzuschauen, hat man die nächsten drei Nächte garantiert Alpträume. Mindestens. Wer ist er, ein Irrer, der aus einer Nervenheilanstalt entsprungen ist? Wollen doch einmal sehen, ob dieser Mann mit seinem Mund überhaupt sprechen kann.
    Womit verdienen Sie sich Ihren Lebensunterhalt?
    »Mit Computern.«
    Computeranalyst?
    »Ja.«
    Warum so viele Piercings?
    »Tattoos reichen mir nicht, sie vermitteln einem nicht dieselben ›Gefühle‹ wie Piercings.«
    Sie spüren sie die ganze Zeit?
    »Nicht die ganze Zeit, aber –«
    Spüren Sie sie jetzt?
    »Ich spüre sie jetzt.«
    Das Gewicht, das Metall?
    »Spüre ich.«
    Warum tun Sie das?
    »Die Mädels stehen drauf.«
    Sicher?
    »Ja, die Mädels stehen drauf!«
    Haben Sie eine Freundin?
    »Noch nicht.«
    Aber Sie sind sich sicher, daß die Mädchen drauf stehen?
    »Ja.«
    Ich spreche eine hinreißende junge Frau an, die gerade vorbeigeht. Könnten Sie bitte für einen Moment zu uns kommen?
    Sie willigt ein.
    Halten Sie das für sexy?
    »Ja.«
    Okay. Würden Sie sich gerne mal mit ihm treffen?
    »Ja.«
    Wie wäre es mit heute abend? Ich kann es für Sie arrangieren.
    »Nicht heute abend, aber –«
    Irgendwann morgen?
    »Nein, nein.«
    Warum nicht?
    Sie nimmt mich zur Seite und bittet mich, aufzuhören.
    Rolf aber macht sich immer noch Hoffnungen. Wie Tim.
    Und wie viele andere Menschen in Dortmund. Heute spielt nämlich Deutschland gegen Argentinien. Draußen marschiert eine Gruppe von Fans die Straße entlang und singt »Argentinien ist homosexuell«. Keine Ahnung, wie die zu dieser Information gekommen sind. Es wäre schön, wenn Tim und Rolf schwul wären; sie gäben ein tolles Paar ab.
    Zur Halbzeit steht es 1 : 0 für Deutschland. Dann ergießt sich ein gnadenloser Platzregen auf die Public-Viewing-Fans am Friedensplatz. Man sollte meinen, daß sie sich schnellstens irgendwo unterstellen, aber nein. Ihre Begeisterung steigert sich sogar noch. Sie stehen unter Strom. Die Fahnen so hochgereckt, wie es nur geht, schreien-singen sie Deutschland! Immer und immer wieder. Ihre Loyalität, wenn man das so nennen kann, macht sich bezahlt. Deutschland gewinnt 4 : 0. Die Menge jubelt, als sie Bundeskanzlerin Merkel auf dem Bildschirm sieht, und buht beim Erscheinen des argentinischen Nationaltrainers Maradona.
    Nach dem Spiel drängen die Fans in die Straßen, ihre Autos und in die Bahnen. In der Bahn, in der ich sitze, schikaniert eine Gruppe junger schwarzgekleideter Männer einen anderen Passagier und ist drauf und dran, eine Schlägerei anzuzetteln. Ich bin mir nicht ganz sicher, worum es hier geht,doch sind auf der einen Seite Neonazis und auf der anderen nicht. Die Schwarzgekleideten haben diesen Mann anscheinend von einer Demo in Bochum wiedererkannt, wo er bei einer Gegendemo mitmarschierte, und wollen sich jetzt rächen. Da springt eine Frau auf und stellt sich zwischen die Streitenden, nach dem Motto: Schlagt mich, bevor ihr meinen Mann schlagt. Warum taucht in meiner Gegenwart ständig diese Nazikiste auf? Können wir davor nicht mal Ruhe haben?
    Das ist Deutschland.
    Die Rufe und Drohungen legen sich schließlich bei der nächsten Haltestelle. Beide Seiten steigen aus. Was dann passiert, weiß ich nicht. Will ich nicht wissen.
    Deutschland hat das Spiel gewonnen, der eigentliche Kampf aber scheint weiterzugehen.
    Dann steige auch ich aus und treffe mich mit Rolf Dennemann, dem künstlerischen Leiter von »hanging around/Heimatquartier«, in einem Café.
    »Ich liebe das Ruhrgebiet mehr als den Rest Deutschlands«, sagt er. »Es ist einsame Spitze. Zugleich hasse ich es, nirgendwo lebt man so schlecht wie hier. Ich liebe den Humor der Menschen hier, aber alles

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