Alleinerziehend mit Mann
ich weiß, dass Sophie nie zu den Pfadfindern gehen wird, wenn ich sie da nicht hinbringe. Man muss sich deshalb als Mutter keine Sorgen machen, wenn die Väter von allzu vielen Hobbys und Fertigkeiten ihrer Kinder träumen. Die Kinder werden nicht gedrillt, getrimmt und als Hollywood-Nachwuchs an die Medien verfüttert. Man lächelt einfach nur, findet alles großartig und wartet ab, was der Vater so organisiert.
Schlurp.
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38. Klarinette und Horn
M eine älteste Freundin Annette ist Musikerin. Sie spielt Horn.
Ihr Mann ist auch Musiker, er spielt Klarinette.
»Trotz dieser unsicheren künstlerischen Existenz«, schreibt Annette, haben sie es gewagt, drei Kinder zu bekommen. Annette stammt aus einem adeligen Elternhaus, lernte bereits mit vier Jahren Klavier und drückt sich stets sehr gewählt aus.
Annette leitet einen Kinderchor, ihr Mann spielt in einem Orchester. Beide geben Privatunterricht, und beide komponieren. Bisweilen spielen sie zusammen etwas ein, das mir Annette dann als YouTube-Video zuschickt. Da meine ganze Familie komplett unmusikalisch ist, schauen wir uns bewundernd das Video an und schreiben anerkennende E-Mails dazu. Ich füge meistens ein paar Zeilen über unsere derzeitige Lebenssituation (»alles wie immer, Büro nervt, die Kinder wachsen, ich bin geschafft«) hinzu, weil ich Annette seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Sie lebt in einer anderen Stadt, muss ohnehin für Auftritte viel verreisen und ist froh, wenn sie endlich einmal daheim ihre Familie um sich und ihre Ruhe hat. Annette, so denke ich, hat es zu etwas gebracht. Sie hat ihren Traum, Musikerin zu werden, verwirklicht. Sie hat drei Kinder gewagt. Manchmal, wenn der Chef noch »schnell« etwas will, denke ich neidvoll an Annette, die keine festen Bürozeiten und dazu auch noch einen freiberuflichen Mann hat.
Neulich hat mir meine Freundin Annette eine Einspielung geschickt, die sie »Solo« nennt. Das heißt, eigentlich ist es kein Solo, sondern nur eine Aufnahme ohne ihren Mann, wenn ich die Musik wirklich richtig beurteilen kann. Der Meinung meiner unmusikalischen Familie nach singt Annette, und jemand spielt dazu Gitarre, Schlagzeug und Bass. »Dieser Song ist schön«, schreibe ich Annette, »das klingt melancholisch und nach Aufbruch zugleich. Entschuldige bitte, wenn ich das so gefühlsduselig schreibe, du weißt, ich hab keine Ahnung von Musik.«
Normalerweise schreibt Annette – die Künstler können sich die Zeit viel leichter einteilen! – immer schnell zurück. Dieses Mal warte ich vergeblich auf eine Antwort.
Nach einem Monat kommt ein YouTube-Video namens »Solo II « von Annette. Es klingt traurig und nach Aufbruch zugleich. Ich schreibe ihr das wieder und füge meine persönlichen Notizen hinzu (»alles wie immer, Büro nervt, die Kinder wachsen, ich bin geschafft«). Annette antwortet wieder nicht.
Solo III kommentiere ich nicht wieder, sondern antworte mit direkten Fragen. Ist alles in Ordnung? Oder ist etwas passiert? Wir sind alte Freundinnen, sie könne mir doch vertrauen.
Noch in der gleichen Nacht schreibt Annette, dass es ihr endgültig reiche, dass die Klarinette stets mehr wert sei als Horn. Immer wenn es um Kinderbetreuung ginge, käme ihr Mann auf die Wichtigkeit von Klarinetten in der Welt zu sprechen. Deshalb sei ständige Übung und Disziplin mit der Klarinette vonnöten, da könne man keine kleinkarierte Rücksichtnahme auf ein Familienleben nehmen, das im Übrigen stets mehr zur Verspießerung aller Beteiligten führe.
Ginge es jedoch ums Horn, spreche ihr Mann stets davon, dass kein Instrument auf der Welt es wert sei, ein intaktes Familienleben zu opfern, dass Musik an sich auch nur ein Mittel zum Zweck zum Geldverdienen sei und ihr Ehrgeiz allmählich zum Ruin persönlicher Nähe führe.
Noch eklatanter, so Annette, zeige sich der Unterschied in der Wertung der Instrumente, wenn es um abwaschen, einkaufen, Müll wegbringen oder Bett überziehen ginge. Stets fordere die Klarinette ihren Tribut, wenn die Banalität des Alltags sich ihr nähere. Stets müsse dabei das Horn zurückstecken.
»Ich frage mich gerade, mit welchem Scheißkerl ich Kinder bekommen habe!«, schließt Annette ihre Mail.
Wenn Annette den Begriff »Scheißkerl« auch noch schriftlich verwendet, muss es ihr wirklich schlechtgehen.
»Ich habe den gleichen Gockel daheim!«, schreibe ich ihr tröstend zurück.
»Gockel?!«, antwortet Annette noch am gleichen Abend. »Das ist doch viel zu nett!
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