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Allem, was gestorben war

Allem, was gestorben war

Titel: Allem, was gestorben war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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keinen Nachschlag wollte.
    Er ging zum Brunnspark hinunter und ließ sich von dem Menschenstrom mit ins Nordstan tragen. Das Einkaufszentrum war sein Ziel.
    Im Nordstan traf sich alles: Straßenmusikanten und Obdachlose, Menschen aus der Arbeiterklasse wie aus der bürgerlichen Schicht. Es war voll, und es war entsetzlich heiß. Rechts, neben dem großen Schuhgeschäft, stand ein junger Mann mit brennendem Blick und sang religiöse Lieder. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Promenierweges, war eine Frau und spielte Cello. Weiter unten links saß ein Mann mit latinischem Aussehen und spielte spanische klassische Musik auf einer Gitarre mit akustischem Verstärker. Einige Leute standen in lockerem Halbkreis um ihn herum und hörten aufmerksam zu. Fünf Meter davon entfernt drängte sich ein anderer Kreis: sechs junge Männer mit rasierten Schädeln, die ihre Gesichtszüge grob und gleichzeitig blass und verschwommen erscheinen ließen, als ob sie sich Feinstrumpfhosen über den Kopf gezogen hätten.
    Wide erkannte Pontus Nihlen sofort. Er wirkte jünger und magerer als die fünf anderen, vielleicht weil er eine Bomberjacke trug, die ihm drei Nummern zu groß zu sein schien. Selbst seine Springerstiefel wirkten zu groß, als wäre er einen Monat nach den anderen eingerückt und hätte sie noch nicht eingeholt.
    Wide atmete tief durch und ging auf die Gruppe zu, ein Verhalten, das die Skinheads im Allgemeinen nicht gewohnt waren. Ihre Aufmachung sollte hervorrufen, dass Fremde Abstand hielten.
    Die Gruppe gegen den Rest der Gesellschaft. Im Augenblick war es die Gruppe gegen Jonathan Wide.
    »Was willst du?«
    Er schien um die zwanzig zu sein, hatte eine Gesichtshaut wie Pergament und am Hals die Buchstaben A.F.C. tätowiert. Er baute sich vor Wide auf und sah erst seine Kumpel und dann Wide an, schmale, unruhige Augen, der Blick des Gehetzten.
    »Ich möchte mich ein bisschen mit Pontus unterhalten.«
    Wide wusste nicht, ob das besonders klug war, aber er war häufig der ersten Eingebung gefolgt, und er war gut damit gefahren.
    »Es gibt Leute, die dich vermissen, Pontus.«
    Erik Nihlens Sohn zuckte zusammen, drehte sich zu dem Mann im weißen T-Shirt um und spuckte auf seine Turnschuhe.
    »Hat mein Alter dich geschickt, du Kindergarten-schwuchtel?«
    »Wenn's so wäre, wäre es ein Glück für dich.«
    Der Junge neben Pontus Nihlen strich sich mit der Hand über eine verschorfte Wunde an seinem frisch rasierten Schädel. Das erinnerte Wide an ein Ei, das man gekocht und dann gerollt hatte, damit die Schale zerbröselte, das aber trotzdem zusammenhielt. Der Junge hatte ein Gesicht wie eine geschälte Tomate. So ein Gesicht, dachte Wide, ist sicher sehr hilfreich, um die ganze Welt auf Abstand zu halten.
    »Glück für dich, dass du noch lebst, Bullenschwuler.«
    »Ich bin kein Bulle und auch nicht schwul.«
    »Aber du wärst es gerne. Oder Neger!«
    Sie lachten. Aber richtige Barbaren waren sie nicht. Wide dachte darüber nach, ab wann Haare nicht länger als ein Beweis von Stärke gesehen wurden. Steckte der Vietnamkrieg dahinter? Manche hatten sich in den sechziger Jahren die Köpfe kahl geschoren, um den Marinesoldaten ähnlich zu sehen und den Kriegseinsatz zu ehren. Hippies hatten das Gegenteil getan.
    Hier würde es keine Prügelei geben. Wide nahm Pontus am Arm und zeigte in Richtung Hauptbahnhof.
    »Nur einen Augenblick, eine kleine Unterhaltung. Dann kannst du wieder zu deinen Kumpels gehen.«
    »Wer bist du?«
    »Ein Freund deines Vaters.«
    Der Junge schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber.
    »Sollen wir ihn totschlagen, Pon?« Das Pergamentgesicht ließ seinen Blick unaufhörlich zwischen Wide und Pontus hin und her wandern.
    »War. warte .«
    Wide nahm einen neuen Anlauf.
    »Es ist die Frage, wer in Zukunft wen erschlägt. Pontus droht Gefängnis, da ist es schon sinnvoll, miteinander zu reden.«
    »Gefängnis? Weißt du, was ein schwedisches Gefängnis ist, Bullenschwuler?«
    Das Tomatengesicht sah ihn an.
    »Das ist dasselbe, wie von einem Neger in den Arsch gefickt zu werden! So geht das heutzutage zu in Schweden. Das ist schon im Urteil festgelegt.«
    »Dann ist es umso wichtiger, dass Pontus nicht im Gefängnis landet.«
    Pontus Nihlen stand plötzlich Angst im Gesicht geschrieben.
    »Wenn ich ins Gefängnis muss, wird alles nur noch schlimmer. Da geht's zu wie in der Hölle.«
    Wide ging auf den Hauptbahnhof zu und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass Pontus ihm folgte, die Clique blieb

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